Philosoph Manemann: Kirche zu sehr auf sich fixiert

Vor einer „schädlichen Fokussierung auf die Institution Kirche“ in der aktuellen Corona-Krise warnt der Theologe und Philosoph Jürgen Manemann.
Wien – Vor einer "schädlichen Fokussierung auf die Institution Kirche" in der aktuellen Corona-Krise warnt der Theologe und Philosoph Jürgen Manemann. "Wir haben Angst davor, die Institution zu verlieren", sagte der Direktor des "Forschungsinstituts für Philosophie Hannover" der Wochenzeitung "Die Furche", die mit einer Jubiläumsausgabe am Dienstag ihr 75-jähriges Bestehen feiert. Dadurch gerate aber das Wesentliche aus dem Blick: Nämlich das Christentum zuallererst als "Lebensform" und als Triebfeder für Veränderung zu begreifen.

–Foto: Spernol

Vor einer „schädlichen Fokussierung auf die Institution Kirche“ in der aktuellen Corona-Krise warnt der Theologe und Philosoph Jürgen Manemann. „Wir haben Angst davor, die Institution zu verlieren“, sagte der Direktor des „Forschungsinstituts für Philosophie Hannover“ der Wochenzeitung „Die Furche“, die mit einer Jubiläumsausgabe am Dienstag ihr 75-jähriges Bestehen feiert. Dadurch gerate aber das Wesentliche aus dem Blick: Nämlich das Christentum zuallererst als „Lebensform“ und als Triebfeder für Veränderung zu begreifen.

Manemann: „Nähe zum Leben verloren“

Theologen und Kirchenvertreter hätten vielfach schlichtweg „die Nähe zum Leben verloren“ und böten keine relevanten Problemlösungsstrategien an, so Manemann weiter. Stattdessen herrsche „zu wenig Sensibilität und zu viel Sentimentalität“: „Die Kirche hat zu viel Mitleid mit sich selbst und zu wenig mit der Welt.“

So ziehe sich die Kirche „immer weiter in sich selbst zurück, weil sie merkt, dass außerhalb der Kirche andere Akteure viel weiter und engagierter sind als sie es ist“. Ziel eines Christentums, das sich als Lebensform versteht, müsse hingegen sein, nicht nur kurzfristig an die Überwindung der Corona-Krise zu denken, sondern auch die weiterhin ungelöste und drohende „Erhitzungskatastrophe“ und deren dramatische Folgen für die Menschheit abzuwenden, fügte Manemann hinzu. „Es wird nicht erkannt, dass wir bereits vor der Pandemie in einer Krise lebten, die noch größer werden wird als die, die wir aktuell erfahren.“

Mehr Menschen denken darüber nach, was es heißen könnte, ein gutes Leben zu führen

Theologisch biete die biblische Tradition dazu ein in Vergessenheit geratenes Werkzeug: die Apokalyptik. Im Gegensatz zum „inflationären Gebrauch des Begriffs der Schöpfung“ zeige die Apokalyptik auf, was es heißt, politisches Handeln aus „trauernder Sensibilität“ zu entwickeln.

Ein „Wiedererstarken eines Interesses an Religion“ unter dem Eindruck der Corona-Krise könne er nicht feststellen, betonte Manemann. „Aber ich nehme wahr, dass mehr Menschen darüber nachdenken, was es heißen könnte, ein gutes Leben zu führen“. Die lauter werdenden Corona-Leugner und eine steigende Aggressivität führt der Politik-Philosoph auf eine tief sitzende Angst vor dem sozialen Abstieg und das damit einhergehende Gefühl des Kontrollverlusts zurück. Die Aggression seit daher „nicht durch das Virus entstanden und wird auch nicht mit dem Virus wieder verschwinden“, so die Prognose Manemanns.

kna