Dramatische Lage in Indien – Krematorien in Delhi ohne Brennholz. Die Corona-Lage in Indien ist weiter höchst dramatisch. Für die vergangenen Woche verzeichnet das Johns Hopkins Resource Center mit 2,6 Millionen Neuinfektionen und mehr als 23.000 Todesfällen einen Höchststand.
Neu Delhi – Die Corona-Lage in Indien ist weiter höchst dramatisch. Für die vergangenen Woche verzeichnet das Johns Hopkins Resource Center mit 2,6 Millionen Neuinfektionen und mehr als 23.000 Todesfällen einen Höchststand. Für Sonntag wurden 392.000 Neuinfektionen gemeldet, 10.000 weniger als tags zuvor. 3.700 Menschen starben offiziell an der Viruserkrankung, rund 200 mehr als am Samstag. Experten schätzen die Dunkelziffer als womöglich sehr viel höher ein.
In der Hauptstadt Neu Delhi steht das Gesundheitssystem weiter kurz vor dem Zusammenbruch. Krankenhäuser und die Regierung des Bundesstaates Delhi forderten in dramatischen Appellen von der Zentralregierung Sauerstofflieferungen für Corona-Patienten. Medien berichten über dramatische Zustände in Krankenhäusern und provisorischen Ambulanzen sowie über Krematorien, die die massive Zahl von Corona-Toten nicht mehr bewältigen könnten. Deutschland und andere Länder, darunter Indiens Erzrivalen Pakistan und China, helfen Indien medizinischen Gütern.
Die Schriftstellerin Arundhati Roy veröffentlichte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einen emotionalen Hilfsappell. Den Krematorien in Delhi sei das Brennholz ausgegangen, schreibt sie, Parks und Parkplätze würden derzeit zu Verbrennungsstätten umfunktioniert. „Es ist, als hinge ein unsichtbares Ufo am Himmel, das uns die Luft aus den Lungen saugt.“ Dramatisch sei die Lage auch auf dem Land. In zahlreichen Dörfern stürben die Menschen „an leicht behandelbaren Krankheiten wie Durchfall und Tuberkulose“, schreibt Roy: „Wie sollen sie mit Covid zurechtkommen?“
Scharfe Kritik übt die Autorin an der Regierung von Premierminister Narendra Modi. Sie habe versagt und sei während der schweren Krise mit der „Zerstörung der letzten Überreste von Demokratie“ und der Verfolgung von Minderheiten befasst. „Unter Modi wurde Indiens Wirtschaft ausgeschlachtet, und Hunderte Millionen Menschen, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen lebten, wurden in bittere Armut gestürzt.“
Das Hilfswerk missio Aachen zeigte sich in großer Sorge um Helfer in Indien. Unter den Opfern der zweiten Corona-Welle seien viele engagierte Ehrenamtliche, Priester oder Ordensleute, sagte Präsident Dirk Bingener. Die Kirche in Indien habe während der Corona-Pandemie vielen Menschen geholfen. Nun schreibe ein Projektpartner aus dem Bundesstaat Jharkand: „Wir leben alle in Angst und Schrecken.“ Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki fragte auf dem Portal domradio.de: „Wenn ein armer Mensch in Indien schon von der Hand in den Mund lebt – wie soll er da in Quarantäne überleben?“ Es seien „einmal mehr die Armen, die besonders unter der Pandemie leiden müssen.
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen zu Jahresbeginn unter 10.000 pro Tag gefallen waren, hatte Indien die Corona-Beschränkungen fast vollständig aufgehoben. Seit März steigen die Fallzahlen wieder stark an, was Experten auch auf eine neue Virusmutation sowie religiöse Massenveranstaltungen zurückführen. Im April waren etwa 30 Millionen Hindus zur Kumbh Mela nach Haridwar gekommen, um ein rituelles Bad im Ganges zu nehmen. Das „Fest des Kruges“ ist das wichtigste religiöse Fest der Hindus.
Seit Beginn der Pandemie wurden nach Angaben der indischen Regierung 19,5 Millionen Corona-Fälle gemeldet, von denen 15,7 Millionen als genesen gelten. 215.500 Inder sind an der Viruserkrankung gestorben. 153,6 Millionen der 1,3 Milliarden Inder haben die erste Impfdosis erhalten. Vollständig geimpft sind 27,2 Millionen Inder, was 2 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht.
„Gerade die Ärmsten können sich am wenigsten schützen und zu Hause bleiben. Sie müssen täglich auf Arbeitssuche gehen oder auf den Feldern arbeiten, denn sonst haben sie kein Einkommen und keine Nahrung zum Überleben. Gleichzeitig ist auf dem Land die Unwissenheit über das Virus hoch und Schutzregeln werden auch aus der Not heraus nicht befolgt. Aus Angst vor Ansteckung verlieren kranke Familien die Unterstützung und Solidarität der Nachbarn“, beschreibt Nivedita Varshneya, Landesdirektorin der Welthungerhilfe in Delhi die Lage.
Die Welthungerhilfe geht davon aus, dass sich die Krise auf die Nachbarländer ausweitet: In Pakistan, Nepal, und Afghanistan schnellen die Infektions- und Todeszahlen ebenfalls hoch und die Gesundheitssysteme sind überlastet. „Das Virus samt seiner Mutationen macht vor Grenzen nicht halt. Deshalb benötigen wir dringend mehr Impfstoffe in Indien wie auch in allen Ländern des globalen Südens. Ich appelliere auch an die deutsche Regierung, endlich die Patentrechte für die Herstellung der Impfstoffe zeitweise aufzuheben“, fordert Varshneya