Am 27. Juli beginnt im Vatikan der Strafprozess zum Finanzskandal im vatikanischen Staatssekretariat im Zusammenhang mit dem Kauf einer Londoner Immobilie.
Im Oktober 2019 sorgte eine Razzia im Vatikan für Aufsehen. Seither wartet man auf den Prozess zum Finanzskandal um Immobilieninvestitionen des Staatssekretariat. Ende Juli soll er nun beginnen – mit zehn Beschuldigten. Vor Wochen schon errichtete der Vatikan die Bühne für das Schauspiel, das er am Samstag dann ankündigte. Weil der Gerichtssaal des Papst-Staates eher das Ausmaß einer Kammer hat, wurde ein kleiner Prozess um Missbrauch, Mobbing und Verletzung der Aufsichtspflicht im Knabenseminar des Papstes in einen Saal der Vatikanischen Museen verlegt. Dort haben neben Anwälten auch genügend Journalisten Platz. Die werden ab 27. Juli über ein Verfahren berichten, das schon jetzt als „Mammutprozess“ gilt.
Dann endlich will die vatikanische Justiz den Finanzskandal des Staatssekretariats klären. Dass es dort „einen Skandal“ gab, hatte der Papst selbst bestätigt, als er im November 2019 auf dem Rückflug von Tokio wegen der einen Monat zuvor durchgeführten Razzia an der Kurie befragt wurde. Damals wurden fünf vatikanische Mitarbeiter suspendiert; über genaue Vorwürfe war seither nichts zu erfahren.
Ein knappes Jahr später fiel Kardinal Angelo Becciu bei Franziskus in Ungnade; der einst mächtige – und immer noch einflussreiche – Sarde ist die medial attraktivste Figur in dem angekündigten Drama. Als langjähriger Substitut (2011-2018) im Staatssekretariat soll er bei den Finanzaktionen der machtvollen Behörde Fäden gezogen oder doch grünes Licht gegeben haben. Die Riege der weiteren Beschuldigten reicht vom Schweizer Juristen und Finanzexperten Rene Brülhart mit dem Ruf als Saubermann bis zur selbsternannten italienischen Geheimdienstexpertin Cecilia Moragna, die von Becciu Hunderttausende Euro bekam.
Das wirft die Strafverfolgung den Angeklagten im vatikanischen Finanzskandal vor
Nun gibt es zehn Angeklagte im vatikanischen Finanzskandal. Denn dazu gesellen sich vatikanische Mitarbeiter – im Staatssekretariat zuständig für Finanzen -, die von den anderen Beschuldigten – italienischen Finanzmaklern – entweder übers Ohr gehauen worden sein sollen oder mit ihnen gemeinsame Sache machten. Im Kern geht es um verlustreiche Investitionen in Höhe mehrerer Hundert Millionen Euro in eine Londoner Immobilie und die sie begleitenden Deals und Provisionen.
Die Anklagepunkte der vatikanischen Strafverfolgung gegen die insgesamt zehn Beschuldigten reichen von Veruntreuung und Korruption über Erpressung, Betrug und Geldwäsche sowie Selbstgeldwäsche bis hin zu Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung. Während etwa Brülhart nur sein Amt als Verwaltungsratschef der vatikanischen Finanzaufsicht AIF missbraucht haben soll, listet die Anklage bei Enrico Crasso, dem römischen Broker mit Sitz in der Schweiz, eine ganze Palette von Vergehen auf. Weiters werden angeklagt der frühere Direktor der AIF, Tommaso Di Ruzza, nach der Razzia im Oktober 2019 suspendiert und später entlassen. Vorgeladen werden neben Crasso auch seine Finanzmakler-Kollegen Raffaele Mincione und Gianluigi Torzi; außerdem Torzis Rechtsbeistand, der Mailänder Jurist Nicola Squillace.
Aus dem Staatssekretariat wird Beccius einstiger Sekretär beschuldigt, der Priester Mauro Carlino, sowie Fabrizio Tirabassi. Tirabassi, Finanzfachmann der Kurienbehörde, war die unmittelbare Schnittstelle zwischen Vatikan und Finanzmaklern, genoss einen zweifelhaften Ruf von Erpressung, Drohungen und Partys mit Prostituierten. Große Summen Bargeld und Juwelen, die italienische Ermittler bei ihm fanden, mussten sie allerdings zurückgeben.
Wie viel Licht ins Dickicht des Finanzskandals kann die vatikanische Justiz bringen?
Als Exotin in der Männerriege wirkt Cecilia Marogna. Die Autodidaktin in Sachen Geheimdienste erwarb mit einer einzigen E-Mail 2015 Beccius Vertrauen; von ihm erhielt sie Hunderttausende Euro zur Beratung für die Sicherheit diplomatischer und humanitärer Missionen des Vatikan im Nahen Osten, wie sie selber einem TV-Team erklärte. Allerdings gab Marogna einen Großteil des Geldes für private Luxusgüter aus; bisher scheint ihr Beratungsunternehmen nicht mehr als eine Briefkastenfirma zu sein.
Becciu und Brülhart ließen schon kurz nach der vatikanischen Presseerklärung am Samstag mitteilen, der Prozess werde ihre Unschuld bestätigen. Brülhart wies eher nüchtern auf den Verfahrensfehler hin, dass er selber die Vorladung noch nicht erhalten und nur über Medien von der Anklage erfahren habe. Becciu hingegen sieht sich als „Opfer eines Komplotts“, beklagt erneut eine Diffamierungskampagne italienischer Medien. Er sehe „diese große Ungerechtigkeit als einen Test des Glaubens“. Der Prozess werde beweisen, wie treu und ehrlich er im Dienst der Kirche gearbeitet habe.
Wie viel Licht ins Dickicht des Finanzskandals die vatikanische Justiz bringen kann, ist indes fraglich. Ihre Ermittlungsakten sollen 500 Seiten stark sein. Schon bisher nahmen wesentlich einfacher gelagerte Fälle Jahre in Anspruch. Dass die Justiz des Papstes handwerklich noch dazulernen müsse, machten zuletzt einzelne italienische und englische Gerichtsurteile deutlich, mit denen vatikanische Anträge auf Amtshilfe abgeschlagen wurden. Andererseits kamen die nun veröffentlichten Anklagen nur dank internationaler Kooperation zustande. Und so werden Staatsanwalt Gian Piero Milano und seine zwei Mitarbeiter zu beweisen versuchen, wie die reformierte vatikanische Justiz zu mehr Gerechtigkeit und Transparenz beitragen kann. Dutzende Anwälte und Journalisten im neuen, größeren vatikanischen Gerichtssaal werden dazu beitragen wollen.
Die Angeklagten im vatikanischen Finanzskandal in alphabetischer Reihenfolge
Kardinal Giovanni Angelo Becciu: Der 73-jährige Sarde saß als Substitut von 2011 bis 2018 an einer Schlüsselstelle im Staatssekretariat. Zu Beginn der Finanzreform des Papstes war er Gegenspieler von Kardinal George Pell; 2018 versetzte ihn der Papst an die Spitze der Heiligsprechungskongregation; im September 2020 entzog er ihm alle Ämter. Vorwurf an ihn: Veruntreuung und Amtsmissbrauch sowie Verleitung zur Falschaussage.
Rene Brülhart: Der Schweizer Jurist und Finanzexperte wurde 2012 von Benedikt XVI. zum Direktor der 2010 geschaffenen vatikanischen Finanzaufsicht AIF ernannt. Zuvor leitete er die Finanzaufklärung Liechtensteins. Unter Franziskus wechselte Brülhart in den AIF-Verwaltungsrat. Nachdem sein Nachfolger als AIF-Direktor, Tommaso Di Ruzza, im Oktober 2019 nach einer Razzia suspendiert wurde, nahm Brülhart unter Protest den Hut. Vorwurf gegen ihn: Amtsmissbrauch.
Mauro Carlino: Der süditalienische Geistliche war lange Beccius Sekretär. In dessen Auftrag wie in dem von Beccius Nachfolger, Erzbischof Pena Parra, soll er Deals mit den Finanzmaklern Crasso, Torzi und Mincione durchgeführt haben. Vorwurf: Erpressung und Amtsmissbrauch.
Enrico Crasso: Der in der Schweiz tätige römische Banker war einer der wichtigsten Partner des Staatssekretariats bei Finanzgeschäften. Er soll Kredite seines früheren Arbeitgebers Credit Suisse an das Staatssekretariat vermittelt haben; auch stellte er die Kontakte zu Raffaele Mincione und Gianluigi Torzi her, damit der Vatikan in die Londoner Immobilie investierte. Vorwurf: Unterschlagung, Korruption, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung. Zudem wird gegen drei seiner Unternehmen ermittelt.
Selbst ernannte Expertin in Geheimdienst- und Sicherheitsfragen
Tommaso Di Ruzza: Nach der Razzia 2019 wurde der damalige Direktor der Finanzaufsicht AIF zuerst suspendiert und dann entlassen. In dem Zusammenhang warfen auch der frühere Präsident Brülhart sowie zwei von vier Aufsichtsräten das Handtuch. Vorwurf: Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verletzung des Amtsgeheimnisses.
Cecilia Marogna: Die selbst ernannte Expertin in Geheimdienst- und Sicherheitsfragen bot 2015 dem Staatssekretariat ihre Hilfe zum Schutz diplomatischer Missionen an. Becciu nahm das Angebot an und ließ ihr beträchtliche Geldsummen überweisen, die sie weitgehend für Privates ausgegeben haben soll. Der Vatikan wirft ihr Veruntreuung vor. Slowenische Behörden ermitteln ebenfalls gegen sie; ihr Unternehmen in Ljubljana erwies sich als Briefkastenfirma.
Raffaele Mincione: Von Crasso vermittelt investierte das Staatssekretariat hunderte Millionen Euro in Fonds des versierten Fondsmanagers Mincione. Etliches davon floss in die Londoner Immobilie. Mincione arbeitet eng mit Gianluigi Torzi zusammen; bei ihren Geschäften mit dem Vatikan spielten sie sich Bälle zu. Vorwurf: Veruntreuung, Betrug, Amtsmissbrauch, Unterschlagung und Geldwäsche.
Von England aus operiert
Nicola Squillace: In Medienberichten tauchte der Name des Mailänder Rechtsanwalts bisher kaum auf. Von ihm ließ Torzi sich bei seinen Geschäften mit dem Vatikan beraten; die beiden sollen seit langem Geschäftspartner sein. Im Februar 2019 wurde Squillace zu sechseinhalb Jahren Haft wegen seiner Rolle bei der Pleite eines Textil-Chemie-Unternehmens verurteilt. Vorwurf des Vatikan: Veruntreuung, Geldwäsche und Selbstgeldwäsche.
Fabrizio Tirabassi: Der im Staatssekretariat für Investitionen zuständige Angestellte wurde nach der Razzia 2019 suspendiert. Im Auftrag von Vorgesetzten wickelte er Geschäfte zuletzt mit Torzi ab. Vorwurf: Korruption, Erpressung, Veruntreuung Betrug und Amtsmissbrauch.
Gianluigi Torzi: Der italienische Finanzmakler operiert vor allem in England und sollte für den Vatikan die Kohlen aus dem Feuer des verlustreichen Londoner Immobiliendeals holen. Dabei kassierte er noch einmal üppig; ließ sich aber auch vom Papst empfangen. Vorwurf: Erpressung, Unterschlagung, Betrug, Veruntreuung, Geldwäsche und Selbstgeldwäsche.