Welternährungsbericht: Hunger auf dem Vormarsch

Rom – Die Vereinten Nationen haben ihren Welternährungsbericht veröffentlicht. Demnach waren 2020 811 Millionen Menschen unterernährt.

In einem Flüchtlingscamp für im Land Vertriebene in Bentiu, Südsudan, trennt eine junge Mutter Spreu von Getreide, neben sich ihr Baby auf einer Matte. Foto: Roland Brockmann/ Welthungerhilfe

Der Hunger in der Welt hat sich im vergangenen Jahr dramatisch ausgebreitet, vermutlich auch aufgrund der Corona-Pandemie. Das geht aus dem am Montag veröffentlichten UN-Welternährungsbericht hervor. Demnach waren bis zu 811 Millionen Menschen oder ein Zehntel der Weltbevölkerung unterernährt. Das Ziel, bis 2030 den Hunger global zu besiegen, werde eine „enorme Anstrengung“ kosten.

Welt in „kritischer Phase“

Die Pandemie decke Schwächen der Ernährungssysteme auf, die das Leben und die Lebensgrundlagen von Menschen rund um den Globus bedrohten, heißt es in dem Bericht, den fünf UN-Organisationen gemeinsam herausgaben: die Welternährungsorganisation FAO, der Hilfsfonds IFAD, das Kinderhilfswerk Unicef, das Welternährungsprogramm WFP und die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die Welt befinde sich in einer „kritischen Phase“ nicht nur bei der Überwindung der größeren Herausforderungen. Zudem brauche es einen grundlegenden Umbau des globalen Ernährungssystems, schreiben die Herausgeber mit Blick auf den Welternährungsgipfel, der im September in New York geplant ist.

Hunger nimmt in Afrika am Stärksten zu

Beunruhigt äußerten sich die beteiligten Organisationen über den sprunghaften Anstieg der absoluten, aber auch der proportionalen Zahlen: Nach den Schätzungen hungerten im vergangenen Jahr 9,9 Prozent der Weltbevölkerung – gegenüber 8,4 Prozent 2019.

Am stärksten nahm der Hunger in Afrika zu. Dort lag die Rate der Unterernährung bei 21 Prozent und damit mehr als doppelt so hoch wie in jeder anderen Weltregion. Weltweit hatten laut dem Bericht 2,3 Milliarden Menschen – 30 Prozent der Bevölkerung – nicht das ganze Jahr hindurch Zugang zu angemessener Ernährung. Dieser Wert stieg 2020 so stark an wie in den fünf vorhergehenden Jahren zusammen. Frauen waren von Unterernährung häufiger betroffen als Männer.

Maßnahmen kommen zu langsam voran

Mangelernährung bestand in allen Formen fort. Mehr als 149 Millionen Kleinkinder unter fünf Jahren zeigten Wachstumsstörungen und waren zu klein für ihr Alter; über 45 Millionen Kinder waren zu dünn, fast 39 Millionen übergewichtig. Drei Milliarden Erwachsene und Kinder konnten sich den Angaben zufolge aus finanziellen Gründen keine gesunde Ernährung leisten.

Schon vor der Pandemie breitete sich laut den Herausgebern Hunger aus und kamen Maßnahmen gegen Fehlernährung zu langsam voran. Dies sei vor allem der Fall in Ländern, die von Konflikten, Wetterextremen, wirtschaftlichen Krisen und hoher Ungleichheit betroffen seien. Bei den gegenwärtigen Trends werde das Ziel einer Welt ohne Hunger bis 2030 um 660 Millionen Menschen verfehlt. Rund 30 Millionen von ihnen dürften noch als Folge der Corona-Pandemie hungern.

„Anstieg muss Weckruf sein“

Die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin, sagte, der dramatische Anstieg der Zahl hungernder Menschen, müsse „Politik, Zivilgesellschaft und internationale Staatengemeinschaft endlich aufrütteln“. Die Weltgemeinschaft sollte neben dem Ziel, alle Menschen gegen Covid-19 zu impfen, Selbstversorgung und regionale Märkte stärken, damit sich auch arme Menschen ausreichend und gesund ernähren könnten.

„Für die Weltgemeinschaft muss der Anstieg auf insgesamt bis zu 811 Millionen unterernährte Menschen ein Weckruf sein, denn für die betroffenen Menschen ist es eine lebensbedrohende Katastrophe“, kommentierte Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, den Bericht. „Schon vor der Corona-Pandemie haben bestehende Krisen, insbesondere der Klimawandel und bewaffnete Konflikte den Hunger in vielen Weltregionen verschärft. Die Corona-Krise hat diese Tendenzen massiv verschärft, Corona ist zum Hungervirus mutiert.“

Schnelles Handeln gefordert

Um den Trend des zunehmenden Hungers umzukehren, müsse die Staatengemeinschaft jetzt schnell und entschlossen handeln: gegen COVID-19, Konflikte und Klimakrise und für ein gerechtes und nachhaltiges Ernährungssystem. „Die Corona-Pandemie besiegen wir nur gemeinsam oder gar nicht, deshalb brauchen wir globale Impfgerechtigkeit und müssen diejenigen unterstützen, die in der Folge der Pandemie ihre Existenzgrundlage verloren haben.“ Kriege und Konflikte wiederum, wie beispielsweise  in Syrien oder in Äthiopien, müssten politisch gelöst werden, sonst blieben sie Hungertreiber. „Außerdem haben Menschen nur dort eine Existenzgrundlage, wo die Klimakrise nicht die Früchte der Landwirtschaft zerstört“, sagte Mogge.

kna/AP