Der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour ruft den Westen auf, die Taliban, den Islam und die Entwicklungen in der Arabischen Welt realistischer zu betrachten als bisher.
Berlin – Der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour ruft den Westen auf, die Taliban, den Islam und die Entwicklungen in der Arabischen Welt realistischer zu betrachten als bisher. In einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“ schreibt er, Unwissen über Kultur, Mentalität, Werte und Glauben, „gepaart mit abendländischem Wunschdenken, Naivität und latenter Hochnäsigkeit“ hätten zu einer „Bevormundung des Morgenlands durch das Abendland“ und zu falschen Einschätzungen von Entwicklungen geführt.
„Hätte man halb so viel Energie und Ressourcen investiert, um die Realität des Morgenlands neutral zu betrachten statt mit der Brille ideologisch vorbelasteter Aktivisten, dann hätte man vielleicht vor allem den Menschen, die in der Region leben, einiges erspart“, so Mansour weiter. Der Blick auf die aktuelle Lage sei ernüchternd. Trotz großer Bemühungen verschiedenster Akteure gelte die Loyalität der Menschen weiterhin nicht den Nationalstaaten, sondern vor allem Stammes-Clans, religiösen sowie ethnischen Gruppen.
Statt realistisch zu werden und neue Wege zu gehen, habe der Westen Demokratie „installieren, man könnte sagen, aufzwingen“ wollen, „ohne die notwendige Infrastruktur zu schaffen, ohne die Bildungssysteme zu reformieren, ohne die patriarchalischen Strukturen zu brechen, ohne Aufklärung zu Mündigkeit – und vor allem ohne den Islam wirklich verstehen zu wollen und ohne den Mut, die religiösen faschistischen Gruppierungen zu bekämpfen, die immer wieder die Demokratie als Mittel nutzen, um an die Macht zu kommen, um sofort danach dieses Mittel zu zerstören.“
Solche „Verzerrungen der europäischen Brille, gepaart mit Wunschdenken“, ließen viele jetzt auch die angeblich „neuen Taliban“ hoffnungsvoll betrachten, kritisiert der Psychologe weiter. Ähnliche Fehleinschätzungen gebe es aber auch mitten in Europa, „egal ob bei der Integration, der Migration oder beim Umgang mit dem politischen Islam“.
In vielen Ländern gebe es undemokratische Akteure, die dies geschickt ausnutzten, so der Islamismus-Experte weiter: „Es sind patriarchalische und religiöse Autoritäten, die in vielen muslimischen Ländern und in den Köpfen der Menschen Unheil und Zerstörung bringen.“
Eine Bevormundung durch den Westen könne nicht mehr das Mittel der Stunde sein: „Die Region braucht tiefgreifende Reformen in allen Lebensbereichen: Religion, Bildung, Erziehung und Demokratisierung.“ Diese müssten aber aus den Bevölkerungen selbst kommen. Der Verzicht auf Teile ihrer „alten“ Kultur und Religion zum Wohl einer neuen, stabileren und besseren Lebensform müsse Antrieb der Menschen dort sein; „er kann nicht von außen erzwungen werden, wohl aber gefordert und gefördert werden“.
Wenn der Westen wirklich Interesse an nachhaltigem Wandel habe, dürfe er nicht „in Wunschdenken verfallen und die schwierigen Themen ausblenden“. Er müsse die richtigen Partner vor Ort und eine klare Sprache finden und Geld und Ressourcen in neue Bildungssysteme, Aufklärung, unabhängige Medien und demokratische Grundstrukturen investieren „statt in korrupte Politiker, die nur sich selber bereichern wollen“.