Zentrumspartei ist wieder im Bundestag vertreten

Das Zentrum hat eine reiche Vergangenheit. Doch in der Bundesrepublik degradierte die Volkspartei CDU die einstige Partei der deutschen Katholiken zur Kleinpartei. Jetzt sitzt sie plötzlich wieder im Bundestag.
Das Zentrum hat eine reiche Vergangenheit. Doch in der Bundesrepublik degradierte die Volkspartei CDU die einstige Partei der deutschen Katholiken zur Kleinpartei. Jetzt sitzt sie plötzlich wieder im Bundestag.

–Foto h kama/Pixabay

Es ist so etwas wie eine kleine Auferstehung. Die einst so stolze katholische Zentrumspartei, die in den vergangenen Jahrzehnten zu einer unbedeutenden Klein- und Regionalpartei verkümmert war, sitzt plötzlich wieder im Bundestag. Der Bundestagsabgeordnete Uwe Witt (62), der in der vergangenen Legislaturperiode für die AfD im Bundestag saß und im Dezember wegen des strammen Rechtskurses aus der AfD ausgetreten war, ist in die Zentrumspartei eingetreten und vertritt sie nun in Berlin.

Im Schatten der Union

Die Wahlergebnisse des Zentrums hatten in den vergangenen Jahrzehnten beständig gegen Null tendiert. Im Kaiserreich und während der Weimarer Republik war die 1870 gegründete katholische Partei dagegen ein politisches Schwergewicht. Ihr Vorsitzender Ludwig Windthorst war einer der bedeutendsten Gegenspieler von Reichskanzler Otto von Bismarck. In der Weimarer Republik stellte das Zentrum mit Persönlichkeiten wie Heinrich Brüning, Wilhelm Marx und Matthias Erzberger viermal den Regierungschef und bedeutende Minister. Sie war ein Bollwerk der Demokratie und des sozialen Ausgleichs. Im Juli 1933 löste sich das Zentrum auf, nachdem es zuvor für das Ermächtigungsgesetz gestimmt und damit Hitler und den Nationalsozialisten den Weg frei gemacht hatte.

Nach 1949 sank der Einfluss der wiedergegründeten Partei im Schatten der Union rapide. Das höchste Stimmergebnis bei einer Bundestagswahl erzielte sie 1949 mit 727.500 Stimmen oder einen Stimmenanteil von 3,1 Prozent. Das bedeutete zehn Sitze im Bundestag. Da sich Adenauer-CDU und CSU aber als überkonfessionelle Parteien positionierten, verlor das Zentrum seine Funktion.

Generalsekretär sieht Chance für das Zentrum im Parteienspektrums

1961 und 1965, zwischen 1972 und 1983 sowie 1990, 2013 und 2021 kandidierte die Partei nicht zur Bundestagswahl. Den höchsten Anteil bei Europawahlen gab es 1984 mit rund 94.000 Stimmen oder 0,4 Prozent. Vertreten ist das Zentrum noch mit Mandaten auf kommunaler Ebene, vor allem am Niederrhein und im Oldenburger Münsterland in Niedersachsen. Vier Landesverbände bestehen in NRW, Niedersachsen, Hessen und – gerade neu gegründet – in Baden-Württemberg.

Das einst vor allem katholische Zentrum präsentiert sich – unter anderem in seinem Grundsatzprogramm vom Dezember 2021 – als christlich-soziale Partei der politischen Mitte, die sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Soziale Marktwirtschaft, Chancengleichheit und Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Abtreibung, Homo-Ehe, Sterbehilfe, Genmanipulation und Stammzellforschung werden strikt abgelehnt. Kritisch beurteilt werden auch die Folgen der Globalisierung sowie eine „Verstaatlichung“ von Erziehung.

Nach starken innerparteilichen Reibereien will die Partei, die 1870/71 gegründet wurde und sich damit als älteste deutsche Partei bezeichnet, weil etwa die Sozialdemokraten zunächst unter anderen Namen firmierten, einen Aufbruch wagen. Sie hat rund 300 Mitglieder und gibt sich unter Führung des Neusser Artzes Klaus Brall als pragmatisch und unideologisch.

Signal des Aufbruchs?

Aus Sicht von Generalsekretär Christian Otte ist der Parteieintritt von Witt ein weiteres Signal des Aufbruchs und der Neuaufstellung der Partei. „Die Deutsche Zentrumspartei ist hocherfreut, seit 1957 endlich wieder einen Bundestagsabgeordneten in den eigenen Reihen begrüßen zu dürfen.“ Mit seiner Erfahrung sowohl im arbeits- und sozialpolitischen Bereich werde er Profil und Programmatik schärfen. Aus Sicht des Generalsekretärs sind der Zustand des Parteiensystems und der CDU eine Chance für das Zentrum. „Die Bürger haben den Wunsch nach einer neuen ernstzunehmenden konservativen-sozialen politischen Kraft und diese wollen wir nun wieder aktiv bundesweit anbieten.“

Auch Bundesschatzmeister Hans-Joachim Woitzik sieht durch Witt eine neue Chance für das Zentrum. Auf die Frage, ob die Partei nicht Gefahr laufe, zum Sammelbecken für unzufriedene AfD-Politiker zu werden, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), Witt sei bislang ein Einzelfall und komme außerdem keinesfalls „aus der rechten Ecke“. Die Parteiführung werde darüber hinaus sehr genau prüfen, wer sich um eine Parteimitgliedschaft bewerbe.

Spitzenkandidat der AfD in Schleswig-Holstein

Witt sagte dazu, mit der Zentrumpartei habe er eine echte politische Oppositionspartei gefunden, die tief und fest in der Demokratie verwurzelt sei. „Ich freue mich, christlich soziale und menschengerechte Politik für die Zentrumspartei im Deutschen Bundestag machen zu dürfen.“ Er wolle den Bürgern „bei der derzeitigen Parteienlandschaft eine neue bürgernahe, freiheitliche und konservative Kraft bieten“.

Witt, der aus Witten im Ruhrgebiet stammt, war im Dezember aus der AfD-Fraktion ausgetreten. In einem Schreiben hatte er als Grund „Grenzüberschreitungen“ von AfD-Mitgliedern genannt. Er wandte sich sich gegen die Dominanz des rechtsextremen „Flügel“ rund um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke. Witt war bei der Bundestagswahl im September Spitzenkandidat der AfD in Schleswig-Holstein.

Von Christoph Arens (KNA)