Queere Menschen in katholischer Kirche outen sich mit Kampagne

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich rund 120 Menschen in der katholischen Kirche geoutet.
Hamburg/Bonn – Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich rund 120 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative „#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst“ am Montag in Hamburg mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe.

–Foto: Pixabay

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich rund 120 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ am Montag in Hamburg mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, „dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität“ nicht zur Kündigung führe. Am Montagabend zeigt die ARD um 22.50 Uhr die Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ des Produzenten Hajo Seppelt.

In diesem Film sprechen Katholikinnen und Katholiken offen über ihre sexuelle Orientierung. Unter ihnen sind mehrere Priester, aber auch Religionslehrkräfte, Krankenpfleger, Sozialpädagogen, Seelsorger und weitere Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen. In der Produktion von RBB, SWR und NDR erzählten nicht-heterosexuelle Menschen vom „Kampf um ihre Kirche“, erklärte der RBB. Der TV-Film bezeichnet das Projekt als das „größte Coming Out in der Geschichte der katholischen Kirche“.

„Diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen“

Für Beschäftigte bei der katholischen Kirche gilt die Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Danach müssen sie Loyalitätsverpflichtungen beachten, die auch das Ausrichten der eigenen Lebensführung an den Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre umfasst. Das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe kann als Verstoß gegen diese Verpflichtung gesehen werden und zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Neben einer Überarbeitung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen fordert #OutInChurch zudem „einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Handlungs- und Berufsfeldern in der Kirche“. Die Kirche trage Verantwortung für die Menschenrechte von Personen aus der queeren Community weltweit. Sie müsse daher „diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen“ zu Sexualität und Geschlechtlichkeit auf Grundlage humanwissenschaftlicher und theologischer Erkenntnisse revidieren.

Wirklich neu sind die Forderungen nicht: Die katholische Sexualmoral soll anhand neuer Erkenntnisse der Humanwissenschaften und der Theologie weiterentwickelt werden, Segnungsfeiern soll es auch für gleichgeschlechtliche Paare geben und die sexuelle Orientierung soll nicht mehr problematisch für das Arbeitsverhältnis sein. Neu indes ist die Schlagkraft, mit der sie erhoben werden: 120 Menschen outen sich in der TV-Dokumentation „Wie Gott sie schuf“ im Ersten und im Rahmen der Kampagne „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“. Rund 20 katholische Verbände haben bereits ihre Solidarität bekundet.

Coming-Out kann daher arbeitsrechtliche Konsequenzen haben

Die Menschen, die nun an die Öffentlichkeit gehen, sind nicht nur katholisch und queer: Viele von ihnen sind in katholischen Einrichtungen beschäftigt. Ihr Coming-Out kann daher arbeitsrechtliche Konsequenzen haben – bis hin zur Kündigung. Denn Beschäftigte bei der Kirche gehen mit ihrem Arbeitsvertrag auch Loyalitätsverpflichtungen ein. Diese sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Leben an der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre ausrichten. Und der in diesem Zusammenhang gern zitierte Katechismus ist in Sachen Homosexualität klar. Sie sei ein „vielschichtiges Phänomen“, konstatiert das Buch zu den Grundfragen des Glaubens von 1992. Homosexualität bringe im Vergleich zur Heterosexualität „Beeinträchtigungen“ mit sich und sei aufgrund der Schöpfungsordnung nicht als „gleichwertige sexuelle Prägung“ anzusehen. Der Katechismus lehnt „jede Diffamierung homosexuell veranlagter Menschen“ ab, erklärt jedoch zugleich: „Eine kirchliche Anerkennung als Institution können gleichgeschlechtliche Partner nicht erlangen.“

Auf dieser Linie befindet sich die katholische Lehre bis heute – eine Eindeutigkeit, die aber vor allem auf dem Papier existiert. Der Graben mit verschiedenen Meinungen zu Bedeutung, Entwicklung und möglicher Revision offizieller Kirchenlehre durchzieht derweil Bistümer, theologische Fakultäten und Kirchengemeinden. Ein Beispiel: Im März vergangenen Jahres bekräftigte die Glaubenskongregation erneut, die katholische Kirche habe keine Vollmacht, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen, weil sie nicht dem göttlichen Willen entsprächen. Damit sorgte sie in Deutschland für erhebliche Diskussionen. Während manche Theologen und katholische Stimmen dem vatikanischen Dokument viel Zustimmung entgegenbrachten, formierte sich vielerorts erheblicher Widerstand. Auf Initiative von mehreren Seelsorgern fanden bundesweit im Rahmen der Aktion #liebegewinnt Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare statt. Die deutschen Bischöfe kamen in ihrer Bewertung des römischen Schreibens zu durchaus unterschiedlichen Auffassungen. Aktuell befasst sich auch der katholische Reformprozess Synodaler Weg mit Fragen zur Sexualmoral.

Initiative setzt neue Schwerpunkte

Die Initiative #OutInChurch schließt also ziemlich nahtlos an bereits bestehende Debatten an, setzt aber auch neue Schwerpunkte. Sie spricht von queeren Personen in der katholischen Kirche – um zu zeigen, dass Fragen von Sexualität und Geschlechtsidentität nicht nur in den Kategorien von Hetero- und Homosexualität zu denken sind. Der Fokus der Aktion liegt auch auf trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen. Queere Menschen in der Kirche seien im System nicht vorgesehen, heißt es in dem Ende vergangenen Jahres erschienenen Buch „Katholisch und Queer“. Mit Blick auf queere Menschen in kirchenrechtlichen Bestimmungen äußert sich der Freiburger Theologe Georg Bier in eine ähnliche Richtung. „Der Gesetzgeber hatte diese Sachverhalte bislang nicht im Blick und deswegen sind sie auch nicht implizit berücksichtigt“, erklärt er auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Im Manifest der neuen Initiative heißt es, dass die Lebensentwürfe queerer Menschen „vielfältige Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens“ seien. Ihre Forderungen stellen sie nicht nur für die queere Community, sondern für die gesamte Kirche: „Eine Kirche, die in ihrem Kern die Diskriminierung und die Exklusion von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten trägt, muss sich fragen lassen, ob sie sich damit auf Jesus Christus berufen kann.“ Bewegung ist derweil nicht nur in die innerkirchlichen Debatten gekommen, sondern auch in die juristische Bewertung des kirchlichen Arbeitsrechts.

Heikel bei großer Nähe zur Verkündigung der Kirche

So erklärte etwa 2019 das Bundesverfassungsgericht die Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus wegen Wiederheirat für unwirksam. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wurde damit ein stückweit eingeschränkt. Und das könnte auch Folgen haben für queere Menschen im kirchlichen Dienst. Besonders heikel ist das Coming-Out für diejenigen, die für ihre Arbeit wegen der großen Nähe zur Verkündigung der Kirche eine eigene kirchliche Erlaubnis brauchen – etwa Pastoralreferentinnen oder Religionslehrer. Ob ihr Bekenntnis zur Kündigung führt, wird auch von Ermessen und Auslegung der kirchlichen Arbeitsrichtlinien durch den jeweiligen Ortsbischof abhängen.

Es ist eine Stunde, in der es ans Eingemachte geht. „Wenn ihr wüsstet, wie viel ich gebetet, gebangt und gehofft habe, dass das nicht so ist. Ich hab mir das nicht ausgesucht“, spricht eine Frau deutlich mitgenommen in die Kamera. Sie ist katholisch. Und sie ist queer. Zusammen mit 99 anderen äußert sie sich am Montagabend im Fernsehen zu ihrer sexuellen Orientierung. Als größtes Coming-Out in der Geschichte der katholischen Kirche bezeichnen die Filmemacher die Doku – und weisen auch gleich auf die Problematik hin: Die hier gezeigten Menschen sind bei der katholischen Kirche angestellt – und könnten durch diese öffentliche Information den Arbeitsplatz verlieren.

Queere Menschen von kirchlichen Bestimmungen im Alltag eingeschränkt

Unter den vielen Unbekannten, die ihre Gesichter in bunten Kacheln auf dem Bildschirm zeigen und die sich nun mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit wagen, sind auch jene, die in den vergangenen Jahren bei Debatten um Kirche und die queere Community schon häufiger aufgetaucht und bekannt sind: der Hochschulpfarrer Burkhard Hose, der Priester Bernd Mönkebüscher und der Referent im Erzbistum Hamburg, Jens Ehebrecht-Zumsande. Im vergangenen Jahr waren sie federführend bei der bundesweiten Aktion #liebegewinnt zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.

Der ehemalige Priesteramtskandidat Henry Frömmichen berichtet davon, dass er nach einem auf Instagram geposteten Foto mit einem schwulen Mann das Priesterseminar habe verlassen müssen. Auch Mara Klein meldet sich zu Wort. Klein ist nicht-binär, sprich divers, und nimmt am katholischen Reformprozess Synodaler Weg teil. Die Dokumentation macht jedoch ein viel weiteres Feld auf. Sie lenkt den Blick auf all jene Menschen, die in einem kirchlichen Dienstverhältnis stehen: die Erzieherin, der Krankenpfleger, die Ärztin, die Bildungsreferentin, der Priester, der Religionslehrer, die Gemeindereferentin, der Mitarbeiter für den Deutschen Katholikentag in Stuttgart. Sie sind lesbisch, bisexuell, schwul, transident oder nicht-binär.

Biographien werden näher geschildert

In fünf Geschichten, auf die der Film näher eingeht, wird deutlich, wie weitreichend queere Menschen von kirchlichen Bestimmungen im Alltag eingeschränkt sind. Eine ehemalige Referentin aus dem Erzbistum Paderborn erzählt, wie sie kurz vor Beginn des Mutterschutzes ihren Job verlor. Sie ist in einer lesbischen Beziehung, die Kinder wurden über Samenspenden gezeugt. Ein lesbisches Paar, 40 Jahre sind sie zusammen, blickt auf Jahrzehnte des Versteckens zurück. Die kirchliche Praxis sei „ein Stück menschenverachtend und ich möchte, dass das aufhört“, sagt Monika Schmelter, ein Urgestein der Reform-Initative Maria 2.0. Bislang war öffentlich nicht bekannt, dass sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt. Ein junger Mann berichtet von seiner Geschlechtsangleichung – noch als Frau begann er sein Lehramtsstudium. Im Referendariat ist er für seine Schüler der Religionslehrer, doch für die Kirche bleibt er Lehrerin: „Die Idee, für die Kirche immer nur als weiblich zu existieren, ist für mich enorm schwer zu ertragen“, erklärt er.

Neben vielen persönlichen Leidensgeschichten findet sich auch ein positives Beispiel im Film: Der Museumspädagoge am Essener Domschatz lebt seit Jahren geoutet im Ruhrbistum und spricht offen über seine Homosexualität. Für die Bistumsleitung offenbar kein Problem. Und für andere Bischöfe? Das Team um Produzent Hajo Seppelt hat nach eigenen Angaben die Bischöfe aller 27 Bistümer um Stellungnahmen gebeten. Alle lehnten ab oder reagierten gar nicht – bis auf den Aachener Bischof Helmut Dieser. Der sagt vor der Kamera: „Ich habe dazugelernt, ja, das kann ich ganz freimütig sagen.“ Im Namen der Kirche entschuldige er sich für Verletzungen. Doch die liegen tief. Von jahrelangen Versteckspielen, von Selbstverleugnungen und Suizidversuchen erzählen die Betroffenen. Das „Perfide an der kirchlichen Taktik“ sei, so resümiert der Kirchenrechtler Thomas Schüller, dass Kirchenleitungen häufig mit der Angst spielten. Diese Angst wird bis in den Film hinein deutlich: Jede fünfte der 100 Kacheln zeigt die Person dahinter nur verschwommen.

Katholische Verbände solidarisieren sich mit queerer Initiative

Rund 20 katholische Verbände und Organisationen solidarisieren sich mit queeren Katholikinnen und Katholiken. „Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen“, heißt es in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Anlass sind Äußerungen der Betroffenen zu ihrer Sexualität beziehungsweise ihrer Geschlechteridentität im Rahmen einer bundesweiten Kampagne. Unterzeichnet ist die Erklärung unter anderem vom Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), vom Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB), der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), dem Forum katholischer Theologinnen „Agenda“, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sowie der Arbeitsgemeinschaft katholischer Hochschulgemeinden (AKH).

Es brauche eine „glaubwürdige und angstfreie“ Kirche. Diskriminierung und Ausgrenzung auch im kirchlichen Arbeitsrecht müsse „grundsätzlich unterbunden werden“. Diverse Menschen müssten in der Kirche sichtbar werden. „Wir stellen uns deshalb ausdrücklich gegen Homophobie und fordern eine Kultur der Diversität in der katholischen Kirche.“

kna/rwm