Das kirchliche Arbeitsrecht gerät immer mehr in die Diskussion – auch jetzt bei der Vollversammlung der Bischöfe. Politik und Gerichte beteiligen sich. Auch innerkirchlich steigt der Reformdruck. Ein Beispiel aus Stuttgart.
Stuttgart –„Sehr, sehr angespannt“ nennt der katholische Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Immer wieder gibt es nach seinen Worten große Schwierigkeiten, freie Stellen bei den knapp 1.700 Arbeitsplätzen des Stadtdekanats in Kindergärten oder Sozialstationen zu besetzen; entsprechende Angebote sind deshalb dauerhaft ausgeschrieben. Einzelne Stellen müssten mit hohen Kosten mehrfach beworben werden. Zu branchenüblichen Problemen kämen bei Einstellungsgesprächen die Frage der Konfession und der Loyalität zur Kirche als zusätzliche Hürden hinzu.
Hermes will Änderungen im Arbeitsrecht, weil die meisten Jobsuchenden sich ihre Stelle heute aussuchen könnten und von anderen Arbeitgebern „mit Kusshand“ genommen würden: „Aber bei uns verliert niemand ohne nähere Betrachtung seine Stelle. Es gibt persönliche Anlässe und Verletzungen, die sogar einen Kirchenaustritt verständlich machen können. Die Kennzeichnung ‚römisch-katholisch‘ auf der Lohnsteuerkarte sagt dagegen erst einmal nichts.“ Die katholische Identität einer Einrichtung müsse anders gesichert werden. Im Hintergrund geht es aktuell nicht nur in Stuttgart um die Frage, ob, wie und wie schnell das katholische Arbeitsrecht in Deutschland verändert wird. Auch bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in dieser Woche wird das Thema eine Rolle spielen, ebenso bei einer Online-Fachtagung von Experten, die ursprünglich in Eichstätt stattfinden sollte.
Der Druck steigt immens. Denn egal, ob die Träger von Kindergärten und Sozialstationen Fachkräfte oder ob Pfarreien eine Sekretärin und einen Hausmeister suchen – wer will vor dem Hintergrund des aktuellen Meinungsklimas schon gerne für die katholische Kirche arbeiten? Erschwerend kommt bei der Suche die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ hinzu. Sie gilt für alle Angestellten in Bistümern, Pfarrgemeinden, Schulen, Kitas und Kliniken in kirchlicher Trägerschaft sowie für die Caritas. Eingefordert wird darin eine Loyalitätspflicht.
Wer bei der Kirche arbeitet, muss die „Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten“. Auch darf man in der „persönlichen Lebensführung“ sowie im dienstlichen Verhalten „die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind, nicht gefährden“. Verstöße – in der Praxis von Bedeutung sind dabei vor allem eine Wiederheirat und eine gleichgeschlechtliche Ehe – können zur Kündigung führen.
Das katholische Reformprojekt Synodaler Weg verlangte vor wenigen Wochen in Frankfurt mit großer Mehrheit eine liberalisierte Grundordnung für die knapp 800.000 Beschäftigten. Eine erste Neufassung hatte es 2015 gegeben – doch aus heutiger Sicht ging das vielen nicht weit genug. Kern der damaligen Neuerung war, dass „persönliche Lebensführung“ nur bei leitenden Mitarbeitenden und dem Seelsorgepersonal Maßstab sein soll. Für sie gelten demnach höhere Anforderungen als für Reinigungs- und Sekretariatskräfte, Krankenpflegende und Mediziner.
Aber schon die damaligen Änderungen reichten mehreren konservativen bayerischen Bischöfen, das Papier nicht sofort, sondern erst mit Verzögerung umzusetzen. Die Macht des Faktischen zwang aber auch sie zum Nachziehen. Die Letztverantwortung für das Arbeitsrecht trägt in jedem Bistum der Bischof. Insofern ist offen, aber eher wahrscheinlich, dass auch eine weitere Neuregelung über kurz oder lang für ganz Deutschland gelten dürfte.
Zusätzlich unter Druck geraten die Kirchen durch Gerichte. Zwar räumt das Grundgesetz den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eine weitgehende Selbstverwaltung und Selbstbestimmung im Arbeitsrecht ein. Vor allem vor dem Hintergrund der Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union gerieten diese Regeln aber in Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). In Deutschland scheint das Bundesarbeitsgericht in Erfurt weitere Liberalisierungen zu wünschen, während das Bundesverfassungsgericht mit Rückgriff auf das Grundgesetz die geltenden Regeln bislang hochhielt. Offen ist in einem aktuellen Fall, ob das so bleibt. Doch selbst wenn Karlsruhe erneut die Kirchen stärken würde – viel helfen würde ihnen das nicht. Denn auch die neue Regierung scheint interessiert, die Unterschiede zwischen weltlichem und kirchlichem Arbeitsrecht einzuebnen.
In die arbeitsrechtliche Debatte hinein spielt auch die „Missio canonica“. Diese im Kirchenrecht geregelte Unbedenklichkeitserklärung beinhaltet die Verpflichtung, sich übereinstimmend mit der Lehre der katholischen Kirche zu äußern. Betroffen davon sind etwa Religionslehrkräfte, das Seelsorgerpersonal und die Professorenschaft. Während die Grundordnung ausschließlich kirchliche Angestellte betrifft, können auch verbeamtete Staatsdiener ein Problem bekommen, wenn ihnen die mit der Missio verbundene Lehrerlaubnis entzogen wird. Das bekannteste Beispiel dafür war der Theologe Hans Küng (1928-2021), dem die Universität Tübingen nach dem Entzug der Lehrerlaubnis durch Rom einen neuen Lehrstuhl einrichten musste, weil er nicht mehr katholische Theologe unterrichten durfte.
Wie geht es nun weiter? Seit ein paar Jahren befasst sich im Stillen eine Arbeitsgruppe des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD) mit der Neufassung. Zuletzt gab es einen lauten, bunten und vielfältigen Strauß an kirchlichen Erklärungen – vor allem nach dem öffentlichen Bekenntnis von mehr als 100 queeren Mitarbeitenden zu ihrer Lebenssituation.
Während die meisten Bistümer offen ihre Sympathie mit den Betroffenen bekundeten und sich verpflichteten, ihnen nicht zu kündigen, will zumindest das Bistum Regensburg grundsätzlich an der geltenden Grundordnung festhalten. Eine Einigung wird für den Sommer angestrebt. Ob und wie die Entwicklung Personalverantwortlichen wie Stadtdekan Hermes hilft, seine Stellen zu besetzen, bleibt abzuwarten. 50 von insgesamt rund 800 benötigten Kindergärtnerinnen fehlen in Stuttgart. Für Hermes ist klar: „Wir können nicht nur ans Arbeitsrecht ran, sondern müssen auch an der Lehre zur Sexualmoral kräftig etwas ändern. Ansonsten sind wir für viele als Arbeitgeber schlicht zu unsicher.“