Für den früheren Vizekanzler Franz Müntefering ist der Umgang mit dementen Menschen und ihren Angehörigen eine „Riesenherausforderung“. Ihr wollen sich die Kirchen in ihrer „Woche für das Leben“ stellen.
Leipzig – Eine Demenz würde dem katholischen Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode nach eigenem Bekunden keine Angst machen. „Selbst wenn das jetzt einträte, wäre ich mir sehr bewusst, dass da ganz viele sind, die auf mich achten und auch gut auf mich achten“, sagte der 71-jährige Vize-Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz im Podcast „Mit Herz und Haltung“ der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Doch das geht längst nicht jedem so. Deshalb haben die beiden großen Kirchen ihre diesjährige bundesweite „Woche für das Leben“ mit zahlreichen Veranstaltungen unter das Motto „Mittendrin. Leben mit Demenz“ gestellt.
Beim Auftakt am Samstag in Leipzig erläuterte Bode, warum ihm eine solche Diagnose nicht den Boden unter den Füßen wegziehen würde. „Gott ist der Garant der Würde des Menschen“, betonte er in einem Gottesdienst in der Nikolaikirche. Diese Würde hänge nicht von der Gesundheit, den geistigen Fähigkeiten oder der Fähigkeit zur Selbstbestimmung ab. Deshalb müssten auch Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, forderte der Bischof. Er sicherte der Bundesregierung den Rückhalt der Kirchen für deren „Nationale Demenzstrategie“ zu, in der sich seit 2020 viele Akteure engagieren.
Ins gleiche Horn stieß die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Annette Kurschus. In ihrer Predigt betonte sie, ein Mensch könne seine Erinnerungen oder sogar seiner Persönlichkeit verlieren. Gott werde diesen Menschen aber „auch dann, dann erst recht“ nicht verloren geben, äußerte sich die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen gewiss.
Bei einer anschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, wo es bei der Akzeptanz demenzkranker Menschen hakt. Im Unterschied zu anderen Krankheiten sei die Demenz eine „Provokation“ in einer Gesellschaft, die den Wert eines Menschen weithin nach seiner Leistungsfähigkeit bemesse – so erklärte die Studienleiterin der Katholischen Akademie in Freiburg, Verena Wetzstein, die besonderen Ängste vor diesem Schicksal. Dem widerspreche aber die biblische Botschaft, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes sei, und auch die im Grundgesetz festgeschriebene Unantastbarkeit der Menschenwürde, ungeachtet aller gesundheitlicher Beeinträchtigungen.
Der frühere SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering plädierte für mehr niedrigschwellige und „lebenspraktische“ Hilfen für demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen. So müsse es mehr als die bislang 400 bis 500 „lokalen Allianzen“ etwa von Vereinen geben, die Selbsthilfegruppen oder Sozialberatung anbieten, sagte der ehemalige Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen.
Der Gerontologe und Psychologe Andreas Kruse verwies darauf, dass Menschen mit Demenz in besonderem Maße auf Anregungen von außen angewiesen seien, um ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Dazu könnten Rituale wie Beten und Singen von Kirchenliedern beitragen. „Der Glaube geht mit der Diagnose einer Demenz nicht verloren“, sagte Kruse, der früher dem Deutschen Ethikrat angehörte. Auch könnten Glaubensgespräche mit Angehörigen ein passendes Angebot sein, um das Zusammenleben mit dementen Menschen zu bewältigen. In dieser Hinsicht hätten die Kirchengemeinden eine wichtige Aufgabe.
Dafür wächst auch in den Kirchen das Bewusstsein. Der Umgang mit Demenz sollte nach Auffassung Bodes ein fester Baustein in der Aus- und Fortbildung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern sein, wie er in dem Podcast betonte. Sie müssten sich fragen, ob sie demente Menschen und ihre Angehörigen als eine Gruppe ihrer Gemeinde „wirklich erkennen“. Es sei „eine Bewährungsprobe, eine Art Nagelprobe, ob wir dazu auch stehen, dass das Leben bis ans Ende von Gott gewollt ist und seine Würde behält.“