Es ist kein Zufall, dass die Staatsleistungen an die Kirchen trotz eines Verfassungsauftrags auch nach über 100 Jahren noch nicht abgelöst wurden.
Berlin – Es ist kein Zufall, dass die Staatsleistungen an die Kirchen trotz eines Verfassungsauftrags auch nach über 100 Jahren noch nicht abgelöst wurden. Das Thema ist äußerst komplex, schon allein aufgrund der unterschiedlichen Interessengruppen in Bund, Ländern, katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen.
Der bisher letzte Anlauf mit einer Gesetzesvorlage von Grünen, FDP und Linken scheiterte in der letzten Regierungsperiode. Aber nur knapp und an Detailfragen. Grundsätzlich zeigten sich viele Akteure ernsthaft bereit, eine Lösung zu finden. Die Ampelkoalition will das begonnene Projekt nun möglichst rasch zum Abschluss bringen.
„Die Gespräche zum Thema ‚Ablösung‘ laufen auf verschiedenen Ebenen“, bestätigte am Freitag der Sprecher der katholischen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, betonte aber zugleich: „Eine Zeitperspektive können wir nicht nennen.“ In dieser Woche hatten die Kirchenbeauftragten von SPD und Grünen, Lars Castellucci und Konstantin von Notz, in der „Zeit“ erklärt, man sei „schon in der konkreten Umsetzung“. Eine Arbeitsgruppe erarbeite Eckpunkte: „Der Zeitplan ist straff: 2023 die Eckpunkte, 2024 muss das Gesetz durch sein“, so Castellucci.
Ampel will „das Kapitel beenden“
Die Ampel will die Beziehungen zwischen Kirchen und säkularem Staat weiter entflechten und hat das Vorhaben im Koalitionsvertrag verankert. SPD, Grüne und FDP wollen im Dialog mit den Ländern und Kirchen „einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ schaffen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) betonte zu Beginn der Amtszeit: „Wir wollen das Kapitel beenden, indem wir eine ‚Abschlussrate‘ an die Kirchen zahlen“, quasi eine einmalige Ablösesumme. .
Auch die Fachpolitiker der Union zeigten im Parlament immer wieder Sympathien. Etwas vorsichtiger, aber durchaus offen äußerten sich die Kirchen. Sie sprachen mit Blick auf die damalige Novelle von einer „hilfreichen Grundlage für weitere notwendige Erörterungen“.
Worum geht es? Jahr für Jahr erhalten die beiden großen Kirchen neben den Kirchensteuern ihrer Mitglieder auch sogenannte Staatsleistungen. Allein 2020 beliefen diese sich auf über 550 Millionen Euro; etwa 60 Prozent gehen an die evangelische, 40 Prozent an die katholische Kirche.
Die meisten dieser Leistungen gehen auf das Jahr 1803 zurück: Damals wurden zahlreiche Kirchengüter auf der rechten Rheinseite enteignet und verstaatlicht. Nutznießer waren deutsche Reichsfürsten, die damit für Gebietsverluste an Frankreich auf der linken Rheinseite entschädigt wurden. Sie verpflichteten sich wiederum, den Kirchen regelmäßige Unterhaltszahlungen zu leisten, damit diese weiter ihre Aufgaben erfüllen konnten.
1919 bestimmte dann die Weimarer Verfassung, dass diese Leistungen abzulösen sind. Das Grundgesetz übernahm 1949 diese Verpflichtung. Demnach muss der Bund ein „Grundsätzegesetz“ erlassen, um Rahmenbedingungen für Vereinbarungen zwischen den Bundesländern, die die Zahlungen leisten, und den Kirchen zu schaffen. Kirche und Länder können aber auch außerhalb eines Grundsätzegesetzes ablösen, wenn Einvernehmen besteht. Davon wurde in der Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht. Eine umfassende Lösung steht aber noch aus.
Die Zeit drängt. Zumal es mit fortschreitender Säkularisierung nicht leichter wird, die vom Staat geleisteten Zahlungen zu rechtfertigen. „Wenn die Kirchen jetzt pokern, stehen sie bei der rasant nachlassenden gesellschaftlichen Bedeutung der Kirchen am Ende ohne nennenswerte Ablöse da“, brachte es der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke am Freitag in der „Bild“-Zeitung auf den Punkt.
Heikle Berechnungen
Da der Bund zwar die Gesetze beschließ, die Länder jedoch zahlen müssten, so Hanke weiter, müssten diese mit ins Boot geholt werden. Den Verpflichtungen können sie sich jedenfalls nicht einfach entziehen. Rechtsexperten wiesen dies als verfassungswidrig zurück, zumal es nicht um eine Schuldentilgung geht, sondern um dauerhaften Ersatz für entgangene Erträge.
Die Interessenlagen der einzelnen Länder sind ebenso verschieden wie jene der Bistümer und Landeskirchen, die in sehr unterschiedlichem Maß auf die Zahlungen angewiesen sind. Und für Regierungen ist es nicht populär, angesichts chronisch klammer Kassen hierfür hohe Summen in Anschlag zu bringen.
Am heikelsten ist deshalb die Berechnung des Finanzvolumens. Die Vorlage von FDP, Grünen und Linken orientierte sich am Äquivalenzprinzip und nahm als Berechnungsschlüssel den 18,6-fachen Wert der jährlich zu leistenden Zahlungen, wobei das Jahr 2020 zugrunde gelegt wurde. Das ergäbe insgesamt rund 10,2 Milliarden Euro. Bei einer Bundestagsanhörung plädierten Rechtsexperten eher für einen Korridor, um regionalen Unterschieden gerecht zu werden. Zudem sind auch andere Formen der Ablösung denkbar.
Die „Bild“-Zeitung berichtete am Freitag ohne Quellenangabe, dass die Kirche für eine Ablösesumme auf 20 Jahre plädiere, die sich dann auf 11 Milliarden Euro belaufe. Die Deutsche Bischofskonferenz wollte diese Zahlen nicht bestätigen und verwies darauf, dass die Haushalte und Vermögenswerte individuell in den Bistümern abgefragt werden müssten.
Das Thema verlangt offensichtlich viel Diplomatie: Die Regelung muss flexibel für regionale Gegebenheiten und Bedürfnisse von Ländern, Bistümern und Landeskirchen sein, und zugleich muss der Bund als ehrlicher Makler Fairness garantieren. Immerhin scheint aber nach über 100 Jahren wirklich Bewegung in die Sache zu kommen.