Der brasilianische Theologe Leonardo Boff (84) hat den verstorbenen früheren Papst Benedikt XVI. als brillanten Denker gewürdigt, der aber wenig Verständnis für außereuropäische Sichtweisen auf das Christentum gehabt habe.
Oberursel – Der brasilianische Theologe Leonardo Boff (84) hat den verstorbenen früheren Papst Benedikt XVI. als brillanten Denker gewürdigt, der aber wenig Verständnis für außereuropäische Sichtweisen auf das Christentum gehabt habe. „Ratzingers Stärke bestand darin, die traditionellen theologischen Sichtweisen, die insbesondere von Augustinus und Bonaventura grundgelegt wurden, in einer anderen Sprache zu formulieren“, schrieb Boff in einem Betrag für die Zeitschrift „Publik-Forum“ (Dienstag online). Außereuropäische Perspektiven seien ihm aber „fremd und verdächtig“ geblieben.
Mit Blick auf Joseph Ratzingers Haltung zu der in Lateinamerika entstandenen Theologie der Befreiung kritisierte Boff: „Wir wagen zu sagen, dass er die zentrale Bedeutung dieser Theologie nie verstanden hat: die Option für die Armen gegen die Armut und für die Befreiung der Armen.“ Benedikt XVI. habe vermutet, dass diese Position vom „Marxismus durchsetzt“ sei. Er habe sich „als Feind der Freunde der Armen erwiesen“. Das werde negativ in die Geschichte der Theologie eingehen.
Benedikt habe Europa unter der Vormachtstellung der katholischen Kirche neu christianisieren wollen, so Boff weiter. „Er suchte nach der verlorenen Einheit, der großen mittelalterlichen Synthese.“ Faktisch sei Europa aber säkularisiert. Es handele sich daher bei Benedikts Vorstellung um einen „Traum ohne Chance auf Verwirklichung“. Die Konzentration auf das europäische Erbe habe den früheren Papst blind für ein plurales, weiter gefasstes Verständnis des Christentums gemacht. Auch habe er die Kirche „als eine Art Bollwerk gegen die Irrtümer der Moderne“ verstanden.
Als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre sei Ratzinger „äußerst hart und unerbittlich“ gewesen und habe zahlreiche Theologinnen und Theologen gemaßregelt. Boff nennt unter anderen Hans Küng, Jacques Dupuis, Gustavo Gutierrez, Jon Sobrino und Ivone Gebara.