Gemischte Reaktionen auf Kardinal Pells Tod in Australien

Mit gemischten Gefühlen haben Australier auf den überraschenden Tod von Kardinal George Pell reagiert.
Sydney – Mit gemischten Gefühlen haben Australier auf den überraschenden Tod von Kardinal George Pell reagiert. Kirchenvertreter betonten die bedeutende theologische Rolle des früheren Erzbischofs von Sydney und Melbourne; Missbrauchsopfer und ihre Anwälte kritisierten die Rolle des Geistlichen im Umgang der Kirche mit dem Thema. Die konservative politische Opposition sieht Pell wegen seiner Verurteilung und zwischenzeitlichen Inhaftierung in einem Missbrauchsverfahren als ein "Opfer politischer Verfolgung".

Kardinal George Pell. Foto: Gavin Scott/wikipedia

Mit gemischten Gefühlen haben Australier auf den überraschenden Tod von Kardinal George Pell reagiert. Kirchenvertreter betonten die bedeutende theologische Rolle des früheren Erzbischofs von Sydney und Melbourne; Missbrauchsopfer und ihre Anwälte kritisierten die Rolle des Geistlichen im Umgang der Kirche mit dem Thema. Die konservative politische Opposition sieht Pell wegen seiner Verurteilung und zwischenzeitlichen Inhaftierung in einem Missbrauchsverfahren als ein „Opfer politischer Verfolgung“.

Premierminister Anthony Albanese sagte im TV-Sender SBS News, Pells Tod sei „ein schwerer Tag für viele Menschen, gerade für jene katholischen Glaubens“. Australiens Bischofskonferenz betonte am Mittwoch auf ihrer Website Pells „starke und klare Führung in der katholischen Kirche in Australien“. Sein Einfluss auf das Leben der Kirche werde auch international „noch viele Jahre zu spüren sein“.

Sydneys Erzbischof Anthony Fisher betonte Stärke und Integrität seines Amtsvorgängers. „Das bischöfliche Motto von Kardinal Pell war ‚Fürchte dich nicht‘; und er lebte diese Worte als ein Mann mit Mut und großem Herzen, der auf die göttliche Vorsehung vertraute, in guten wie in schlechten Tagen“, so Fisher. Auch der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, betonte die große Bedeutung Pells für die Kirche Australiens und der Welt.

Der frühere Leiter des vatikanischen Wirtschaftssekretariates war am Dienstag im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Huftoperation gestorben. Oppositionsführer Peter Dutton lobte den Verstorbenen als einen „erbitterten Verteidiger des katholischen Glaubens und der christlichen Ideale“. Der Regierung und der Justiz des Bundesstaates Victoria in Melbourne warf Dutton wegen der Prozesse gegen Pell wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs „moderne politische Verfolgung“ vor. Ähnlich äußerte sich der frühere Premierminister Tony Abbott; er nannte Pells zeitweise Inhaftierung eine „moderne Form der Kreuzigung“.

Journalistische Kommentatoren kritisierten Pells Rolle im australischen Missbrauchsskandal. Die Zeitung „Sydney Morning Herald“ schrieb am Mittwoch, der Kardinal „konnte bei der Wahrnehmung kirchlicher Interessen rücksichtslos und sogar machiavellistisch sein“. Seine Lebensaufgabe sei gewesen, die Kirche voranzubringen und zu schützen; dies habe er „jahrzehntelang mit beispielloser Entschlossenheit und Energie, wenn auch nicht immer mit Weisheit“ getan. Der Kommentator weiter: „Die Kulturkriege, die Kardinal Pell mit solcher Entschlossenheit und Lust geführt hat, sind im Jahr 2023 zunehmend irrelevant.“ Dennoch habe Australien „einen Titanen verloren“.

Der Opfer-Anwalt Michael Magazanik, der für Missbrauchsopfer Entschädigungen in Rekordhöhe erstritten hat, kritisierte die Verehrung Pells durch die Kirche als eine „Heuchelei olympischen Ausmaßes“. Pell habe vor massivem Kindesmissbrauch „zumindest ein Auge zugedrückt“ und sei „unfähig zu Empathie für die Opfer“ gewesen, sagte Magazanik dem „Sydney Morning Herald“.

Derzeit ist in Melbourne in Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen noch ein zivilrechtliches Verfahren gegen Pell anhängig. Es soll laut australischen Medien auch nach seinem Tod weitergehen. Nach Angaben der Erzdiözese Sydney wird Pells Leichnam nach der Trauerfeier in Rom nach Australien überführt und in der Krypta der Kathedrale von Sydney beigesetzt.

Pell war von 2014 bis 2017 als Verantwortlicher für Wirtschafts- und Finanzfragen einer der mächtigsten Männer im Vatikan. Pell, der im Vatikan zu den Konservativen gezählt wurde, versuchte als Koordinator des vatikanischen Wirtschaftsrates, mehr Transparenz und Sauberkeit in die Vatikanfinanzen zu bringen. Das brachte ihn in Konflikt mit alten Strukturen und Gewohnheiten anderer Verantwortlicher.

2018 geriet Pell weltweit in die Schlagzeilen, als er von einem Strafgericht in Melbourne wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs zu Unrecht zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. 2020 wurde er in letzter Instanz freigesprochen und aus dem Gefängnis entlassen. Danach kehrte er nach Rom zurück. Zuletzt nahm er am Begräbnis von Benedikt XVI. teil.

Nach Pells Tod sind derzeit noch 125 der 223 Kardinäle der Weltkirche unter 80 Jahre alt und damit zur Papstwahl stimmberechtigt. Pell war der letzte Australier im Kardinalskollegium.

Pell wurde am 8. Juni 1941 in Ballarat im australischen Bundesstaat Victoria geboren und mit 25 Jahren zum Priester geweiht. Mit der geistlichen Laufbahn entschied sich der sportliche Hüne gegen eine mögliche Karriere als Rugby-Spieler. Sein Weiterstudium in Rom und Oxford führte ihn zur Promotion im Fach Kirchengeschichte.

Nach mehreren Stationen in Seelsorge und Hochschule ernannte ihn 1987 Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum Weihbischof in Melbourne und 1996 zum Erzbischof dort. 2001 wurde Pell nochmals befördert – nach Sydney, der Hauptstadt des australischen Libertinismus. Auch von dort meldete er sich immer wieder mit so kernig-konservativen wie kontroversen Statements über Themen wie Homosexualität, Bioethik und Klimawandel zu Wort.

Ins weltkirchliche Rampenlicht trat Pell spätestens als Gastgeber des Weltjugendtags in Sydney 2008. 2014 machte ihn Papst Franziskus zum Leiter des neugegründeten vatikanischen Wirtschaftssekretariates. Wegen der Missbrauchsvorwürfe war der Kardinal aber bereits seit Juni 2017 als Finanzchef beurlaubt, später jedoch rehabilitiert. Noch vor wenigen Tagen nannte ihn Franziskus „einen Großen“.

Als Mitglied der Römischen Glaubenskongregation (1990-2000) gehörte Pell zu den engsten Beratern des damaligen Präfekten, Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. (2005-2013). Unter den Kandidaten für dessen Nachfolge im Amt des Präfekten wurde 2005 auch sein Name genannt.

Pell war der bislang ranghöchste katholische Geistliche, der wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs verurteilt und inhaftiert wurde. Der Kardinal wies stets alle Vorwürfe zurück. 2020 sprach ihn Australiens Oberstes Gericht aus Mangel an Beweisen frei; nach 400 Tagen kam er wieder auf freien Fuß.

Von Michael Lenz (KNA)/rwm