In der aktuell hohen Zahl der Kirchenaustritte drückt sich laut dem Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack ein schon seit Jahrzehnten anhaltender Säkularisierungstrend aus.
Köln – In der aktuell hohen Zahl der Kirchenaustritte drückt sich laut dem Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack ein schon seit Jahrzehnten anhaltender Säkularisierungstrend aus. „Mehr und mehr Menschen halten Religion, Kirche und Glauben in ihrem Leben nicht mehr für wichtig“, sagte Pollack im Interview der „Kölnischen Rundschau“ (Montag). Im Vergleich dazu, wie gut sie ihre Interessen und Wünsche im Beruf und in ihrer Freizeit verwirklichen können, erscheine ihnen die Beschäftigung mit religiösen Fragen schlichtweg als irrelevant und unattraktiv.
Die Zahl der Kirchenaustritte in Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr laut einer am Freitag veröffentlichten Statistik des Landesjustizministeriums erneut einen Höchstwert erreicht. Danach kündigten 223.509 Menschen ihre Kirchenmitgliedschaft, 44 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021 mit rund 155.000 ausgetretenen Personen.
Eine Rolle bei den Austritten spielt laut Pollack auch, dass viele Menschen die Kirche unglaubwürdig finden. Das betreffe besonders die katholische Kirche. Hierbei schlügen vor allem die Missbrauchsfälle, die Ablehnung von Homosexualität sowie die Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu Buche. Zudem gehe von der Austrittsbewegung ein sich selbst verstärkender Effekt aus: „Je mehr austreten, desto weniger muss man den eigenen Austritt rechtfertigen.“ Und die berechtigte oder aber manchmal auch unberechtigte Empörung über das Verhalten der Kirchenoberen verschaffe einem noch zusätzlich ein gutes Gewissen.
Pollack nannte es eine fromme Hoffnung, dass nur ohnehin Distanzierte die Kirche verlassen. „Gerade bei den Katholiken sehen wir, dass auch Menschen, die kirchlich erzogen wurden und noch vor kurzem eine beachtliche kirchliche Bindung besaßen, der Kirche den Rücken kehren.“ Um gegenzusteuern, müssten die Kirchen nahe bei den Menschen sein, sich für ihre Probleme interessieren, Seelsorge betreiben, sie bei den freudigen wie traurigen Umbrüchen ihres Lebens begleiten und Belehrungen vermeiden.
Der Religionssoziologe sieht keine gravierenden Folgen für die Gesellschaft, wenn die Kirchen kleiner werden. Viele zentrale christliche Ideen und Werte wie Solidarität, Fairness, Frieden oder Authentizität seien längst in die Gesellschaft eingewandert und hätten sie verändert. Wenn die kirchlichen und religiösen Bindungen schwächer würden, nehme vielleicht das zwischenmenschliche Vertrauen und die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement etwas ab. Aber: „Starke Effekte erwarte ich nicht.“