Eine der frühesten Evangelien-Übersetzungen im Vatikan entdeckt

Ein Historiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat im Vatikan für einen spektakulären Fund gesorgt,
Eine der frühesten Evangelien-Übersetzungen im Vatikan entdeckt

Symbolbild –Foto: Cara Shelton/Pixabay

Ein Historiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat im Vatikan für einen spektakulären Fund gesorgt: Mittelalterforscher Grigory Kessel entdeckte mithilfe von Ultraviolettfotografie in der dortigen Bibliothek eine der frühesten Übersetzungen der Evangelien. Auf einem überschriebenen Manuskript befand sich – zunächst unsichtbar – ein kleines Handschriftenfragment der syrischen Übersetzung aus dem Griechischen, die im 3. Jahrhundert verfasst und im 6. Jahrhundert kopiert wurde. Das teilte die ÖAW am Gründonnerstag mit.

Einzigartiger Zugang

„Vor etwa 1.300 Jahren nahm ein Schreiber in Palästina ein Evangelienbuch, das mit einem syrischen Text beschriftet war, und radierte es aus“, hieß es dazu. Pergament war im Mittelalter knapp, Manuskripte wurden daher häufig wiederverwendet. Solche überschriebenen Schriftstücke nennt man Palimpsest.

„Die Tradition des syrischen Christentums kennt mehrere Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments“, teilte Entdecker Kessel mit. Bis vor kurzem waren nur zwei Handschriften bekannt, die die altsyrische Übersetzung der Evangelien enthalten. Mit dem jetzt gefundenen Handschriftenfragment liegt ein weiterer Textzeuge vor. Kessel identifizierte es dank moderner Technik als dritte Textschicht, also Doppelpalimpsest, in einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek. Es biete einen „einzigartigen Zugang zur sehr frühen Phase in der Geschichte der textuellen Überlieferung der Evangelien“. Je mehr Übersetzungen bekannt sind, desto mehr erfährt die Wissenschaft laut ÖAW über den Originaltext der Evangelien.

Zusammenspiel modernster Techniken

Claudia Rapp, Direktorin des Instituts für Mittelalterforschung der ÖAW, wies darauf hin, dass die aus dem 3. Jahrhundert stammende syrische Übersetzung mindestens ein Jahrhundert vor den ältesten erhaltenen griechischen Handschriften, etwa dem bedeutenden Codex Sinaiticus, verfasst wurde. Die Entdeckung Kessels beweise, „wie produktiv und wie wichtig das Zusammenspiel modernster digitaler Techniken in der Grundlagenforschung bei der Begegnung mit den mittelalterlichen Handschriften sein kann“, so Rapp.

Die Wiener Wissenschaftlerin leitet das Sinai Palimpsests Project, das die jahrhundertealten, wertvollen Palimpsest-Handschriften des berühmten Katharinenklosters im Sinai in Ägypten wieder lesbar und in digitaler Form verfügbar machen soll. Bisher konnten bereits 74 Handschriften entziffert werden, darunter vor kurzem die Fragmente aus einer dritten Handschrift mit altsyrischer Evangelien-Übersetzung.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften besteht seit 1847, ihr gehören heute mehr als 760 Mitglieder in 25 Forschungsinstituten sowie rund 1.800 Mitarbeitende in den Bereichen innovative Grundlagenforschung, interdisziplinärer Wissensaustausch und Vermittlung neuer Erkenntnisse an.