Kirchenkritiker Jacques Gaillot stirbt mit 87 Jahren

Er galt als „Schwarzes Schaf“ unter Frankreichs Bischöfen. Der eine Oberhirte entzog Jacques Gaillot in den 90ern die Leitung seiner Diözese – ein anderer rehabilitierte ihn 20 Jahre später. Zumindest empfand er es so.
Er galt als "Schwarzes Schaf" unter Frankreichs Bischöfen. Der eine Oberhirte entzog Jacques Gaillot in den 90ern die Leitung seiner Diözese - ein anderer rehabilitierte ihn 20 Jahre später. Zumindest empfand er es so. Kirchenkritiker Jacques Gaillot stirbt mit 87 Jahren

Jacques Gaillot –Foto: privat

In den streitbaren 80er Jahren war Jacques Gaillot das „Enfant terrible“ der französischen Bischöfe – bis es Papst Johannes Paul II. zu bunt wurde. Nach seiner Amtsenthebung zog Gaillot ins damals noch junge Internet um, wo sich in seiner „virtuellen Diözese“ andere linke Dissidenten sammelten. Nun ist Gaillot im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.

Als Jacques Gaillot 1995 in Evreux seinen Abschiedsgottesdienst feierte, war die Stadt in der Normandie im Ausnahmezustand. Mit 300 Bussen und drei Sonderzügen reisten Menschen an, die ihn ihrer Solidarität versichern wollten. Das „Schwarze Schaf“ unter den französischen Bischöfen hatte in den Augen des Vatikan mit notorischer Unbotmäßigkeit zu oft die Grenzen überschritten. Der amtsenthobene Bischof von Evreux war künftig nur noch Titularbischof eines im fünften Jahrhundert untergegangenen Bistums: Partenia im heutigen Algerien.

Die ungewohnte, harte und – nach Einschätzung des Bonner Kirchenrechtlers Norbert Lüdecke – rechtlich zumindest fragwürdige Maßnahme löste Proteste im In- und Ausland aus. Gaillot warnte damals vor einer „Kirche des Ausschließens“ und plädierte für eine „Kirche der Ausgeschlossenen“. Bei aller Kritik am Vatikan aber wandte sich der umstrittene Bischof gegen eine Abkehr von der Kirche. „Geben wir ihr eine Zukunft, jeder auf seine Weise“, sagte er in seiner Abschiedspredigt.

Schon lange vor der Amtsenthebung hatte es Reibereien zwischen Gaillot und seinen Mitbrüdern gegeben. Der kleingewachsene und schmächtige Mann mit der Metallbrille eckte in den 80er Jahren regelmäßig mit TV-Auftritten an, als er den Zölibat oder die Haltung der Kirche zu Homosexualität, Aids oder zu Frankreichs nuklearer Abschreckung kritisierte. Im Interview des Männermagazins „Lui“ nannte er Geschlechtsverkehr „großartig und schön“. Und in einem Beitrag für eine französische Homosexuellen-Zeitschrift schrieb er: „Homosexuelle werden uns im Himmel vorausgehen.“

Nach seiner Amtsenthebung blieb Gaillot im Ruf eines „Bischofs der Ausgeschlossenen“. In Frankreich kämpfte er für die Rechte von Arbeitslosen, Obdachlosen, Häftlingen und illegalen Ausländern. Gelegentlich wurde er als Vermittler angerufen, etwa wenn „Illegale“ mit den Behörden über Bleiberechte stritten. Aufsehen erregte auch eine Irak-Reise kurz vor Beginn des Krieges im März 2004.

2000 kam es zwar zu Gesten der Versöhnung mit dem damaligen Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, Kardinal Louis-Marie Bille. Doch außer der Versicherung, Brüder zu bleiben und in der Kirche geeint zu sein, folgten daraus kaum praktische Konsequenzen. In Kirchenkreisen hieß es, Gaillot habe bald danach abermals seine Mitbrüder mit unfreundlichen Bemerkungen verärgert. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hielt bis zuletzt an seinem Hausverbot für Gaillot fest.

So blieb er einer breiteren Öffentlichkeit vor allem im Internet präsent. Er gründete die „erste virtuelle Diözese“, die unter www.partenia.org ein Jahr nach seiner Amtsenthebung zunächst in französischer Sprache, später unter anderem auch auf Deutsch online ging. Nach eineinhalb Jahrzehnten zog sich Gaillot 2010 auch dort zurück.

Seitdem wurde es eher ruhig um ihn – und fast wäre er wohl schon ein Fall für die Kirchenhistoriker geworden, hätte ihn nicht 2015 Papst Franziskus in einer spektakulären Geste ins Bewusstsein zurückgeholt. Er empfing den fast gleichaltrigen Gaillot kurz vor dessen 80. Geburtstag zu einem 45-minütigen „privaten Gespräch“ im Vatikan. Ein Vertrauter Gaillots sprach anschließend von einem „Treffen von Gleichgesinnten“.

Mit Blick auf die Segnung von wiederverheirateten Geschiedenen oder homosexuellen Paaren habe der Papst gelächelt und gesagt: „Der Segen Gottes ist für alle da.“ Und zur Sorge für Flüchtlinge und Migranten, eine der zentralen Aufgaben Gaillots seit seiner Absetzung, habe Franziskus betont: „Die Migranten waren und sind immer das ‚Fleisch‘ der Kirche.“ Gaillot selbst sagte nach der Begegnung, er fühle sich nunmehr „rehabilitiert“. Und in diesem Gefühl ist er nun wahrscheinlich auch gestorben.

Von Alexander Brüggemann (KNA)