Die Gemeinschaft mit Christus ist nicht ohne die Gemeinschaft der gläubigen Menschen zu finden.

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„In jener Zeit“, so beginnt oft der Vortrag des Evangeliums im Gottesdienst. Die Formulierung scheint so etwas wie ein Vorzeichen zum nachfolgenden Text zu sein. Es geht um etwas, das in unserer Geschichte geschehen ist, nicht um bloße Gedankenspiele, Behauptungen oder Fiktionen. Und es geht um eine bestimmte Zeit, um die Zeit eines besonderen Handelns Gottes, um die Zeit seiner einmaligen Nähe in der Menschheitsgeschichte in Jesus von Nazaret.
Was „in jener Zeit“ zwischen Himmel und Erde geschehen ist, muss daher immer wieder gehört und weitergesagt werden. An diesem Sonntag wird ein Abschnitt aus den Abschiedsreden gelesen, die Jesus nach dem Johannesevangelium am Abend vor seinem Tod gehalten hat. Das Evangelium wurde mehrere Jahrzehnte nach Jesu Tod und Auferstehung und damit nach vielen Jahren des gläubigen Nachdenkens geschrieben, um die bleibende Bedeutung der Ereignisse „in jener Zeit“ auch den Menschen späterer Generationen zu erschließen.
Den Jüngern stand mit der Kreuzigung Jesu eine tiefe Enttäuschung bevor. Er fordert daher zunächst: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Allen Irritationen und Zweifeln sollen sie das feste Vertrauen auf das entgegensetzen, was sie von ihm und was sie durch ihn von Gott erfahren haben und erfahren werden.
Selbst der Tod wird für Gott nicht unüberwindlich sein. Es gibt ein Leben jenseits dieser Schwelle, in der Bildersprache des Johannesevangeliums: Es gibt ein Leben in den Wohnungen im Haus Gottes. Jesu Weggang dient der Vorbereitung eines Platzes für die Jünger. Die Skepsis des Apostels Thomas ist verständlich: Was nutzt eine Wohnung, wenn wir nicht wissen, wie wir zu ihr hinfinden? Aber Jesus verheißt: Ihr werdet nicht allein und orientierungslos sein. Ich komme wieder „und werde euch zu mir holen“.
Mein Weggehen ist zugleich ein neues Ankommen bei euch. In der Weise Gottes bin ich unter euch gegenwärtig. Ich zeige nicht nur den Weg, „ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Durch die Lebensgemeinschaft mit mir in dieser Zeit gelangt ihr zur ewigen Gemeinschaft mit Gott. In dieser Verbundenheit mit mir erkennt ihr die Wahrheit über Gott und über euch selbst. Und ihr erhaltet schon jetzt Anteil am vollendeten Leben, das ihr erhofft. Die Frage nach Gott, die die Menschen zu allen Zeiten bewusst oder unbewusst umtreibt, erfährt durch mich Antwort, denn „wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“.
Die Gemeinschaft mit Christus ist nicht ohne die Gemeinschaft der gläubigen Menschen, die Kirche, zu finden und zu leben. Die Lesung aus dem ersten Petrusbrief verwendet für sie an diesem Sonntag ein ähnliches Bildwort, wie es im Evangelium vorkommt. Die Gemeinschaft ist ein „geistiges Haus“ aus „lebendigen Steinen“. Zusammengehalten und vor Schaden bewahrt wird dieses Haus vom „Eckstein“ Jesus Christus.
Es gilt die Zusage: „Wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde“. Es gilt aber auch die Forderung: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“, zu einem Haus Gottes für die Menschen. Das Haus ist eine Dauerbaustelle. Sich in Offenheit für den Bauherrn auf diese Tatsache einzulassen muss heute vielleicht oft wieder neu gelernt und angegangen werden.
Dabei gilt für alle Gläubigen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich.“ Verwirrende Ereignisse, Taten und Zustände gibt es ja heute und nicht erst heute in Kirche und Welt wahrlich genug. Das fortwährende Erleben von Bösem und Unfrieden hat sogar dazu geführt, dass in der Eucharistiefeier der letzten Bitte des Vaterunsers schon seit Jahrhunderten ein Gebet um „Frieden in unseren Tagen“ und Bewahrung vor „Verwirrung und Sünde“ folgt.
Die erste Lesung dieses Sonntags lässt einen Blick auf die Anfangsjahre des christlichen Gemeindelebens werfen. Die Zahl der Gläubigen unterschiedlicher Herkunft und wirtschaftlicher Lage führt zu Spannungen und macht eine neue Aufgabenverteilung notwendig. Gebet und Dienst am Wort bleiben Aufgaben der Apostel, der soziale Dienst an den Tischen wird anderen aufgetragen, damit beides weiterhin angemessen ausgeführt werden kann.
Diese Neuordnung in der jungen Kirche macht deutlich: Was „in jener Zeit“ durch Jesus grundgelegt ist, muss mit seiner Hilfe unter den jeweiligen Zeitumständen von den „lebendigen Steinen“ gemeinsam im Glauben bedacht, entfaltet und gelebt werden. Das kann zu Auseinandersetzungen, Fehlern und Verunsicherungen führen. Dann gilt es angesichts neuer Fragen und Probleme umso dringender, dem von Jesus verheißenen „anderen Beistand“, dem „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16), zu vertrauen.
Und es gilt, sich auf die Worte Jesu zu besinnen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich“, denn „ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Er spricht die Worte an diesem 5. Ostersonntag in der Liturgie auch uns zu. Denn er ist gegenwärtig „in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden“ (II. Vatikanisches Konzil, Liturgiekonstitution 7).