Mehr Dialog statt Debatte

Eine Demokratiekonferenz in der katholischen Akademie Die Wolfsburg lieferte gute Impulse dafür, wie wir unsere Demokratie besser miteinander leben können.
Mehr Dialog statt Debatte

Der Journalist und Kommunikationstrainer Tom Hegermann mit dem Akademiedozenten Dr. Jens Oboth im Auditorium der Wolfsburg –Foto: Emons

Mülheim –Eine Demokratiekonferenz in der katholischen Akademie, zu der auch die Stadt und das Centrum für bürgerschaftliches Engagement (CBE) am Donnerstag in die Wolfsburg eingeladen hatten, zeigt, warum wir lernen müssen, wieder mehr miteinander zu reden und aufeinander einzugehen.

Die gute Nachricht zuerst: 130 Menschen von Jung bis Alt haben sich einen halben Tag Zeit genommen, sich im Plenum und in Workshops über den Zustand unserer Demokratie auszutauschen und man darf davon ausgehen, dass sie als Multiplikatoren ihre gewonnenen Einsichten und Impulse als Multiplikatoren in ihre Lebens- und Arbeitsbereiche Schule, Politik, Kirche, Jugendhilfe, Vereine und Bürgerschaft mitnehmen.

„Das ist der Wert dieser Veranstaltung. Das wir in Zeiten von Fake News und Verschwörungserzählungen Strategien an die Hand bekommen, wie wir mit Menschen, die wir mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr erreichen, im Gespräch bleiben können. Denn der Dialog ist der Anfang von Demokratie“, sagt Bürgermeister Markus Püll.

Daran knüpft Stadtdirektor und Bildungsdezernent David Lüngen an. „Wir erleben in der Bürgerschaft oft eine große Wut, aber auch eine große Sprachlosigkeit. Autos und Häuser von Ratsmitgliedern werden beschmiert. Aber wenn wir als Stadt zu Informationsveranstaltungen einladen, erleben wir oft, dass dort mehr Mitarbeitende der Stadtverwaltung als informations- und diskussionswillige Bürgerinnen und Bürger anwesend sind.“, sagt er und hält fest: „Wir erreichen die Menschen mit unseren klassischen Formaten nicht mehr oder zumindest nicht in ausreichender Form.“

Was also tun? Einfache Antworten auf diese Frage konnte, die unter anderem vom Bund und von Mülheimer Unternehmen gesponserte Veranstaltung nicht liefern, aber bedenkenswerte Handlungsansätze, die nicht nur vom Podium, sondern auch aus dem Publikum kamen.

Der Journalist und Kommunikationstrainer Tom Hegermann forderte uns alle auf: „Wir müssen lernen auch emotionaler für unsere Demokratie einzutreten, weil wir Menschen, die nach einfachen Lösungen in einer immer komplexeren Welt suchen, nicht auf einer argumentativen, sondern nur auf einer emotionalen Ebene erreichen können.“ Wie er das selbst praktiziert hat, zeigt er an einem Facebook-Post, in dem er mit Blick auf die Migrationsdebatte von seinen „positiven Erfahrungen in einer Klinik berichtet, in der sich Ärzte und Pflegekräfte, die von mehreren Kontinenten in unser Land gekommen sind, um meine Gesundheit bemüht haben.“

Mit Blick auf unsere Medienlandschaft forderte der langjährige Hörfunkjournalist Hegermann eine Abkehr vom Häppchenjournalismus: „Wir haben es heute leider oft mit einem Journalismus zu tun, der sich der Komplexität unserer Welt verweigert und immer weniger Zeit und Platz für komplexe politische Probleme bereitstellt.“

Die Mediatorin und Kommunikationstrainerin Dr. Evgeniya Sayko forderte eine Qualifikationsoffensive in Sachen Mediation: „Mediation ist der Beruf des 21. Jahrhunderts. Wir brauchen in unserer Gesellschaft weniger Debatten, in denen wir unsere Gegenüber als Gegner sehen. Wir brauchen wieder mehr Dialog, in dem wir die andere Meinung aushalten und in der Lage sind, den anderen, trotz unserer Meinungsverschiedenheit anzuerkennen und wertzuschätzen.“

Nicht nur die Wuppertaler Oberstufenschülerin Arina Waschinow, die mit ihrem Sozialwissenschaftskurs zur Demokratiekonferenz in die katholische Akademie gekommen war, plädierte für eine stärkere Förderung politischer und historischer Bildung. „Ich interessiere mich für Politik und Journalismus. Ich habe aber auch Geschichte gerne, weil viele Konflikte eine Geschichte haben, die nur mit historischem Hintergrundwissen zu verstehen und zu lösen sind!“ So viel Einsicht und Weitsicht wünschte man sich auf dem Podium und im Plenum auch von der Bundesregierung. Deren Kürzungspläne im Haushalt der Bundeszentrale für politische Bildung wurden entsprechend scharf kritisiert wurden.

In der Jugendhilfe aktive Erzieher und Sozialarbeiter berichteten von bedenklichen Informationsdefiziten bei Jugendlichen. „Wir haben es immer öfter mit einer Rudelmentalität zu tun, in der Jugendliche dem von einem vermeintlich gut informierten Influencer in ihrer sozialen Gruppe vorgegebenem Meinungsmainstream folgten.“ Einer seiner Kollegen fasste die Informationslage vieler Jugendlicher so zusammen: „Sie lesen heute keine Zeitung mehr, sondern informieren sich ausschließlich im Internet.“

Der aus Bottrop stammende Jugendredakteur des Recherchenetzwerks Correctiv, Steffen Ludwig, gab hilfreiche Anregungen für den eigenen Medien- und Faktencheck an die Hand, indem er den Teilnehmenden seines Workshops empfahl: „Wenn Sie wissen wollen, wie glaubwürdig eine Nachricht ist, an der Sie selbst Zweifel haben, überprüfen Sie, ob Sie diese Nachricht nur in einer Quelle oder in mehreren Medien finden. Wenn Sie an der Authentizität eines Fotos zweifeln, nutzen Sie die Google-Bild-Rückwärtssuche, die Ihnen auf einen Blick Bilder zum betreffenden Thema liefert. Überprüfen Sie, ob ein Medium ein Impressum der redaktionell Verantwortlichen hat und ob Informationsquellen angegeben werden, die Ihnen vertrauenswürdig erscheinen.“ Akademiedozent Dr. Jens Oboth, der die vierstündige Demokratiekonferenz zusammen mit Katharina Wehner vom Mülheimer Centrum für bürgerschaftliches Engagement moderierte, brachte es am Ende auf den Punkt. „Das wird sicher nicht die letzte Demokratiekonferenz in der Wolfsburg gewesen sein. Denn wir sind heute am Ende und sehen doch, dass wir eigentlich erst am Anfang stehen.“

Thomas Emons