Kleider machen Leute: Der Hauptmann von Köpenick

Vor 175 Jahren wurde der als Hauptmann von Köpenick berühmte Wilhelm Voigt geboren. Eine Dauerausstellung in Berlin erinnert an ihn.
Kleider machen Leute: Der Hauptmann von Köpenick

Die vom Bildhauer Spartak Babajan entworfene Bronzefigur des Hauptmanns steht seit 1996 vor dem Rathaus von Köpenick. –Foto: Thiede

Berlin – Wilhelm Voigt leitet seine 1908 geschriebene Autobiografie „Wie ich der Hauptmann von Köpenick wurde“ so ein: „Ich bin geboren am 13. Februar 1849 in Tilsit in Ostpreußen.“ Und weiter: „Ich war immer ein besonderer Verehrer des Militärs.“ Mit seiner Selbstdarstellung versucht er sich in ein gutes Licht zu setzen. 

An seinen Gaunereien sind immer die anderen schuld. Erst sein spielsüchtiger und gewalttätiger Vater, dann falsche Freunde und zuletzt ungerechte Polizeibeamte, die ihn ausweisen, wo immer er sich niederlässt. Gleichsam aus Notwehr überfällt er schließlich am 16. Oktober 1906 das Rathaus der Stadt Köpenick.

Längst weiß die Stadt die „Köpenickiade“ sehr zu schätzen und ehrt den Hauptmann mit einer Dauerausstellung. In der heißt es: „Für Köpenick ist Voigts Raubzug bis heute ein Glücksfall und lockt immer noch zahlreiche Besucher in den seit 1920 zu Berlin gehörenden Ort.“ 

Halbwahrheiten im Umlauf

Zunächst war sie am Tatort eingerichtet: dem im Stil der märkischen Backsteingotik erbauten und 1905 eingeweihten Rathaus. An der Treppe zum Haupteingang steht der in Bronze gegossene Hauptmann von Köpenick. Er verlässt gerade die unterste Treppenstufe in Richtung Bahnhof. Die behandschuhte Rechte streckt der Uniformierte eigentümlich vor. Will uns der 1996 vom Bildhauer Spartak Babajan geschaffene Hauptmann etwa die Hand geben?

Weil das Rathaus wegen Bauarbeiten bis Jahresende geschlossen bleibt, ist die Dauerausstellung nun in der Joseph-Schmidt-Musikschule zu sehen. Die Schau besteht aus zwölf Tafeln, die mit Texten sowie Reproduktionen von Fotografien, Grafiken und wichtigen Dokumenten über Voigt und seine Paraderolle informieren. Über ihn sind viele Halbwahrheiten und unbewiesene Behauptungen im Umlauf. Die Tafelschau aber präsentiert nur das, was sich auch belegen lässt.

Das Leben des Schuhmachers Voigt vor seiner Köpenickiade ist in der Musikschule zusammengekürzt auf eine Datentabelle, die hauptsächlich Diebstähle und Urkundenfälschungen sowie die dafür erhaltenen Gefängnis- und Zuchthausstrafen auflistet. Beachtenswert aber ist, dass Voigt offenbar von 1879 bis 1888 ein rechtschaffenes Leben als Arbeiter in wechselnden Schuhfabriken führte. In seiner Selbstdarstellung gibt er als Arbeitsstationen Erfurt, Eisenach, Budapest, Odessa, Lodz, Riga und Potsdam an. Dann aber wurde er rückfällig. Nach 15 Jahren Zuchthaus verhalf ihm der Anstaltsgeistliche im Februar 1906 zu einer Arbeitsstelle in Wismar. Doch schon bald wies ihn die Polizei aus der Stadt. Auch in Berlin und den umliegenden Orten ereilte ihn die polizeiliche Ausweisung. Nun wollte er einen Pass haben, um im Ausland zu arbeiten. Doch den verweigerten ihm die Behörden.

Daraufhin kam Voigt auf die Idee, Passformulare zu rauben und selber auszufüllen. Er suchte sich bei Trödlern die Einzelteile einer Hauptmannsuniform zusammen und stellte in Berlin von der Straße weg zehn echte Wachsoldaten und den Gefreiten Klapdohr unter seinen Befehl. Der falsche Hauptmann gab seiner Truppe zur Stärkung Bier und Bockwurst aus. Auch die Bahnfahrkarten nach Köpenick gingen auf ihn. 

Im In- und Ausland große Popularität

Dort eingetroffen, besetzte der Hauptmann mit seinen Leuten das Rathaus. Selbst vor Gericht wird Voigt dabei bleiben, einzig der Passformulare wegen das Rathaus überfallen zu haben. Doch die gab es dort nicht. Dafür hielt er sich an der Stadtkasse schadlos. Er befahl dem Kämmerer, das Geld zu zählen und ihm zu übergeben. Das tat der erst, nachdem der Hauptmann die ihm vorgelegte Quittung unterzeichnet hatte. Er unterschrieb mit dem falschen Namen „von Malzahn“, dass er 4.000 Mark und 70 Pfennige erhalten habe. Aber das stimmte nicht. Seine Beute belief sich nur auf 3.557 Mark und 45 Pfennige.

Laut Steckbrief waren auf Hinweise, die zur Ergreifung des unbekannten Täters führen, 3.000 Mark ausgesetzt. Zehn Tage nach der Tat nahm die Polizei den von einem ehemaligen Komplizen verratenen Voigt in Berlin fest. Er gab alles zu – und erlangte im In- und Ausland große Popularität. Die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ widmete ihm im November 1906 die „Spezial-Nummer Köpenick“. Das Titelbild gestaltete Thomas Theodor Heine: „Der König von Norwegen überreicht dem Hauptmann von Köpenick den Friedenspreis der Nobelstiftung, weil es ihm in unübertrefflicher Weise gelungen ist, den Militarismus lächerlich zu machen.“ Der Beitrag von Olaf Gulbransson zeigt Voigt als von Soldaten beargwöhnten Zivilisten. Kaum tritt der aber in Hauptmannsuniform vor sie, stehen sie stramm. Das Berliner Landgericht verurteilte Voigt zu vier Jahren Gefängnis. Nach 20 Monaten begnadigte ihn Kaiser Wilhelm II.

Paraderolle zum Beruf

Der Begnadigte machte nun seine Paraderolle des Hauptmanns von Köpenick zum Beruf. Mit Autogrammkarten, seiner Autobiografie und öffentlichen Auftritten, die er zeitweise zusammen mit dem ehemaligen Gefreiten Klapdohr absolvierte, verdiente er in den nächsten Jahren sein Geld. Dabei war er keineswegs immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht, wie uns eine Zeitungsanzeige veranschaulicht. Die kündigt seinen Auftritt im Berliner Passage-Panoptikum an, bei dem er „an die verehrlichen Besucher seine Photographien mit eigenhändiger Unterschrift verteilen“ wird. „Den Reinerlös des Postkartenverkaufs erhält der Wohltätigkeitsfonds zum Wiederaufbau Donaueschingens.“ Eine Feuersbrunst hatte ein Drittel aller Häuser Donaueschingens zerstört, 600 Menschen waren obdachlos. Wilhelm Voigt ließ sich 1910 in Luxemburg nieder, wo er 1922 starb. Bestattet ist der Protestant auf dem dortigen katholischen Liebfrauenfriedhof.

Der Hauptmann von Köpenick aber ist unsterblich. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer hat ihn in einem 1931 uraufgeführten Bühnenstück verewigt. Es ist Grundlage zahlreicher Verfilmung. etwa der von 1956 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Und in Köpenick tritt der Hauptmann mit seiner Mannschaft zur Freude der Einheimischen und Besucher von Mai bis Oktober regelmäßig auf.

Veit-Mario Thiede

Weitere Informationen sind unter www.berlin.de/museum-treptow-koepenick/museum/hauptmannausstellung zu finden.