Seelische Wunden heilen in der Ukraine

„Nachdem Andrij getötet worden war, habe ich mich zunächst in meiner Trauer zurückgezogen und wollte mit keinem über meinen Verlust sprechen“, erzählt Tetjana aus Odesa (Odessa).

Quelle: Caritas Odesa

„Nachdem Andrij getötet worden war, habe ich mich zunächst in meiner Trauer zurückgezogen und wollte mit keinem über meinen Verlust sprechen“, erzählt Tetjana aus Odesa (Odessa). „Später fand ich Unterstützung in einer Gruppe von anderen Müttern, die mit dem gleichen Schmerz leben müssen.“ Die 51-Jährige ist eine von mehr als 200 Witwen und Müttern gefallener Soldaten in den Selbsthilfe-Gruppen der ukrainischen Caritas. 

Pfarrer Ruslan Ostaphiy leitet die Selbsthilfe-Gruppe gemeinsam mit der Psychologin Natalia. Um schwer traumatisierten Hinterbliebenen wie Tetjana helfen zu können, haben beide eine umfassende Weiterbildung vom Zentrum für psychische Gesundheit der nationalen Universität »Kyiv-Mohyla-Akademie« erhalten – ermöglicht durch Spenden aus Deutschland.

Der engagierte Priester erklärt: »Viele der Menschen, die wir in ihrer Trauer begleiten, leiden unter Schlafstörungen, Albträumen und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Wir zeigen ihnen, dass sie mit ihrem Leid nicht alleine sind.« Mit ihrem Angebot geht die Caritas nicht nur in Großstädte wie Kyiv (Kiew), Lviv (Lemberg) oder Odesa, sondern auch in Gemeinden am Rand der umkämpften Gebiete. Viele Familien harren hier aus, um nah bei ihren Lieben zu bleiben und ihre geliebte Heimat nicht zu verlassen. Zur Ausstattung der Teams, die auch Hausbesuche bei trauernden Familien machen, gehört darum nicht nur fachliches Rüstzeug, sondern auch dringend notwendige Sicherheitsausrüstung für den Einsatz im Kriegsgebiet. 

Allen Gefahren zum Trotz ist es für Pfarrer Ruslan eine Freude zu sehen, wie die Gespräche, Treffen und Ausflüge, die er organisiert, vielen Trauernden neuen Lebensmut geben: »Ich sehe, wie Menschen, die lange verzweifelt waren, anfangen, diejenigen zu trösten, deren Wunden noch frisch sind. Sie erzählen mit ihrer ruhigen Art über ihren Verlust und betonen, warum es sich dennoch lohnt, weiterzuleben: Für die anderen Kinder, für die Enkelkinder.« 

Sichere Räume für Kinder schaffen 

Gerade die Kinder liegen den Projektverantwortlichen besonders am Herzen. Sie sind die Verletzlichsten in diesem Krieg und benötigen wirksame Hilfe. So wie Denys: Sechs Wochen lang lebte der Achtjährige mit seiner Mutter und Schwester unter russischer Besatzung in seinem Heimatdorf in der Region Donezk in einem Keller – ohne ausreichend Trinkwasser und Heizung. Auch nach seiner Flucht verfolgen ihn die Bilder der Toten, der verbrannten Autos und der zerstörten Häuser seiner Freunde. In seinem Zufluchtsort in der Region Odesa begann er zu stottern und hatte Schlafstörungen und Alpträume. In Einzel- und Gruppenarbeit versuchen jetzt die psychologischen Fachkräfte geduldig, die Wunden an seiner Seele zu heilen und Denys trotz des erlittenen Traumas eine Chance zu geben, ein Kind zu sein.

Für Kinder wie Denys leistet die Caritas Ukraine an zahlreichen Schulen in verschiedenen Städten und Orten für die vom Krieg besonders betroffenen Kinder psychologische Hilfe und Unterstützung durch die Einrichtung von sogenannten »kinderfreundlichen Räumen«. Tausende Mädchen und Jungen haben nach dem Unterricht die Möglichkeit, in sicherer Umgebung zu spielen, Sport zu treiben und gemeinsam mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie Psychologinnen und Psychologen an therapeutischen Angeboten wie Theater- und Kunsttherapie teilzunehmen. Mit Unterstützung durch Renovabis konnte dieses Angebot seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 erheblich ausgebaut werden – und es soll weiterwachsen. 

Therapeutische Sommerlager

Ein weiteres Programm zur Unterstützung von Soldatinnen und Soldaten und deren Familien sind therapeutische Sommerlager, die die Renovabis-Partner von der griechisch-katholischen Patriarchalkurie seit 2014 (Beginn der Kämpfe im Osten der Ukraine) anbieten. Der Bedarf an psychosozialer Begleitung ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 noch größer geworden. 

„Im Sommerlager fand ich Trost, da alle Kinder dort ähnliche Erfahrungen teilen“, erzählt Nata (14). „Drei in unserer Gruppe haben ihre Väter verloren“. Ihren eigenen Vater, der an der Front kämpft, sieht Nata nur einmal im Jahr, wenn er Kurzurlaub hat. Nata ist eines von mehr als 150 Mädchen und Jungen, die jährlich an den von Renovabis geförderten Sommerlagern teilnehmen. Während des zehntägigen Sommercamps in den Karpaten können die Kinder unter psychologischer und pastoraler Begleitung lernen, mit der Angst, dem Verlust und der Trauer besser umzugehen und voneinander Kraft zu schöpfen. 

In ihrer Bitte um Unterstützung schreibt Tetjana Stawnychy, die Präsidentin der Caritas Ukraine, hierzu an Renovabis: »Die dauernde Bedrohung belastet die seelische Gesundheit der Kinder und erhöht das Risiko psychischer Störungen. Wir müssen sie und ihre Eltern unterstützen. Bitte helfen Sie uns dabei! Allein können wir diese riesige Aufgabe gar nicht bewältigen.«