Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat dazu aufgerufen, die Demokratie stärker wertzuschätzen und Rechtsextremisten nicht zu unterschätzen.
Stuttgart – Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat dazu aufgerufen, die Demokratie stärker wertzuschätzen und Rechtsextremisten nicht zu unterschätzen. „Mag sie auch nicht frei von Mängeln sein, so bleibt die Demokratie doch die beste Regierungsform, die wir kennen, und weltweit Zufluchts- und Sehnsuchtsziel der Unterdrückten“, sagte Gauck am Mittwochabend in Stuttgart laut Redemanuskript.
„Ich wünschte, die jungen Menschen und diejenigen, die nie in Unfreiheit leben mussten, könnten eine liberale Demokratie neu oder wieder zu ihrer inneren Überzeugung machen“, sagte der frühere DDR-Bürgerrechtler. Die Verfassung müsse wehrhaft gegen ihre Feinde verteidigt werden.
Das Grundgesetz allein garantiere jedoch nicht, „dass unsere freiheitlich-demokratische Ordnung überlebt“, mahnte Gauck. „Weder schützen uns Verfassungen davor, dass autoritäre Politiker an die Macht kommen, noch können Verfassungen eine Aushöhlung der demokratischen Prinzipien letztlich verhindern.“ Gauck gab zu bedenken, dass autoritäre Politiker mehrheitlich gewählt und illiberale Veränderungen mit parlamentarischen Mehrheiten beschlossen werden könnten.
Der Altbundespräsident stellte infrage, ob das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht „uneinnehmbare Hürden bei Angriffen auf unsere Demokratie“ seien und sagte: „Bisher besaßen Rechtsextremisten keine Macht auf Landes- und Bundesebenen. Doch aus den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg können sie als stärkste Fraktion hervorgehen.“
Würden Rechtsextremisten – was „nicht wahrscheinlich, aber auch nicht völlig auszuschließen“ sei – eine Landesregierung stellen, könnten sie „den Alltag des Landes bereits erheblich verändern“, warnte Gauck. Als Beispiele nannte er: „die Abschiebungen von Flüchtlingen vorantreiben, eine als Remigration getarnte Deportation von Migranten einleiten“, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Finanzmittel kürzen und Einfluss auf Lehrpläne nehmen.
Die juristischen Hürden für ein Parteiverbot – das mit Blick auf die AfD diskutiert wird – lägen hoch, so Gauck. „Eine Verfassungsfeindlichkeit müsste der gesamten Organisation nachgewiesen werden.“ Insofern erscheine es ihm „augenblicklich durchaus sinnvoll, die Position des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz besser gegen extremistsche Einflussnahme zu schützen“, sagte Gauck. Er hielt die Festrede bei einer Veranstaltung im Haus des baden-württembergischen Landtags zum Thema „75 Jahre Grundgesetz“. Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat beschlossen und am 23. Mai 1949 offiziell verkündet.