Pierre Stutz: Nichts ist schlimmer als eine falsche Versöhnlichkeit

(Foto: Stefan Weigand)

Pierre Stutz ist einer der meistgelesenen christlichen Autoren aus dem deutschsprachigen Raum. Am 31. Januar kommt er nach Essen und liest aus seinem aktuellen Buch „Lass dich nicht im Stich. Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn und Wut“. Neues Ruhr-Wort hat den Autor zu seinem Umgang mit Ärger und Zorn befragt und zu seiner Idee, über dieses Thema ein Buch zu schreiben.

Herr Stutz, Ärger, Wut und Zorn zählen nicht gerade zu den christlichen Tugenden. Dennoch widmen Sie diesen ein ganzes Buch. Was hat Sie dazu bewogen?
Pierre Stutz: Mich beschäftigt dieses Thema persönlich seit langer Zeit. Ich habe mir zu lange nicht erlaubt, wütend zu sein. Weil es mir streng verboten war, aggressiv zu sein, wurde ich immer depressiver. Der Ursprung des Wortes „Aggression“ ist völlig wertfrei. Es bedeutet, sich in die Auseinandersetzung des Lebens hineinzubegeben.Mein Aufstehen am Morgen ist also ein aggressiver Akt! Ärger, Wut und Zorn gehören zu gesunden Beziehungen. Sie können zerstörerisch sein, die Zeitungen sind voll davon. Ich möchte eine heilend-göttliche Kraft in diesen Gefühlen freilegen. Die Spiritualität der Konfliktfähigkeit jenes Friedensmannes aus Nazareth ermutigt mich dazu. Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sagt so treffend: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit“. Wer wirklich Frieden in Gerechtigkeit fördern möchte auf dieser Welt, der soll immer wieder seine Stimme erheben, um Unrecht zu benennen und konstruktive Lösungsvorschläge einzubringen.
Der Titel „Lass dich nicht im Stich“ deutet an, dass Sie eine ganz persönliche Botschaft für Ihre Leserinnen und Leser haben. Könnten Sie diese – ohne zu viel zu verraten – für uns andeuten?
Stutz: Nichts ist schlimmer als eine falsche Versöhnlichkeit, in der wir uns einem faulen Frieden zuliebe verbiegen lassen. Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe heißt der lebensbejahende Dreiklang, in dem wir nicht nur Mitgefühl mit anderen entfalten, sondern auch gut für uns selbst sorgen. Ärger und Wut haben immer einen tieferen Grund. Sie können uns aufzeigen, was unterbelichtet ist auf unserem Weg. Sie können uns ermutigen, die Angst vor Liebesentzug zu überwinden, um unsere Talente nicht mehr zu vergraben, sondern zur eigenen Freude und zum Wohle der Gemeinschaft einzubringen.
Sie sind nun schon einige Wochen mit Ihrem neuen Buch unterwegs. Sicherlich gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen auf das Thema. Welche Reaktionen sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Stutz: In all meinen Büchern möchte ich eine befreiende Spiritualität fördern, die Angst und Ohnmacht verwandeln kann. Es tut mir gut, von den Zuhörenden zu hören, dass sie durch meine Worte von einem krankmachenden schlechten Gewissen befreit werden. Es ist nämlich eine Überforderung, zu meinen, dass achtsame Menschen ihren Ärger „wegmeditieren“ können. Ich ermutige zu einer gewaltfreien Kommunikation, in der Ärger und Zorn sein dürfen, damit ich sie gestalten, eingrenzen, verwandeln kann. Wie dies im Alltag, in einem stressigen Beruf und im gesellschaftlichen Kontext einer zunehmenden Fremdenfeindlichkeit möglich sein kann, heißen die großen Fragen, für die es keine Patentlösungen gibt, sondern die Bereitschaft, jeden Tag neu Friedensschritte zu wagen.
Interview: Judith Dimke-Schrader
Info Die Lesung mit Pierre Stutz
am Mittwoch, 31. Januar, findet um 19.30 Uhr im CVJM e/Motion, Martin-Luther-Straße 118 B, statt. Weiteres unter http://pierrestutz.ch