München – Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern kritisiert vorösterliche „Judasfeuer“ als Brauchtum mit judenfeindlichem Ursprung. Die Stelle veröffentlichte am Donnerstag in München eine 60 Seiten umfassende Recherche zu dem Thema.
Demnach werden bis heute im Süden und Westen Bayerns kurz vor Ostern „Judasfeuer“ (früher auch „Judenfeuer“) entzündet und dabei teils Puppen in Menschengestalt verbrannt. Für den Zeitraum seit 2010 sind rund 150 Orte aufgelistet, in denen bis 2019 mindestens einmal ein solches Feuer veranstaltet wurde. In diesem Jahr wird es solche Veranstaltungen schon aufgrund der Corona-Krise nicht geben.
Symbolisch-rituelle „Bestrafung“
Der Brauch sei nicht zu verwechseln mit Osterfeuern und diene der symbolisch-rituellen „Bestrafung“ der biblischen Figur Judas Iskariot für seinen Verrat an Jesus, heißt es. Judas Iskariot werde in antijudaistischer Tradition christlicher Prägung mit „den Juden“ identifiziert.
Die „Judasfeuer“ konzentrieren sich RIAS zufolge auf die Gegend zwischen Donauwörth, Ingolstadt, Augsburg, Landsberg am Lech und München sowie Teile Unterfrankens. „Dabei handelt es sich seltener um kirchliche Veranstaltungen. Ein Großteil der Feuer wird von christlichen Laien, oft Jugendlichen, die in örtlichen Vereinen organisiert sind, veranstaltet.“ RIAS nennt als Organisatoren etwa katholische Landjugendgruppen, Burschenvereine, Pfarrgemeinden und Ministranten sowie Freiwillige Feuerwehren und Dorfgemeinschaften.
Weltweite Empörung
Anlass für die Recherche war laut Mitteilung ein 2019 im polnischen Pruchnik abgehaltenes „Judasfeuer“. Dies habe für weltweite Empörung gesorgt, da die dort verbrannte Puppe mit Hakennase, orthodox-jüdischer Kopfbedeckung und Haartracht entsprechend stereotyper antisemitischer Vorstellungen gestaltet gewesen sei. Die „Judasfeuer“ in Bayern fänden zwar nicht mit einer derartigen antisemitischen Markierung statt, gründeten aber auf derselben Tradition.
Für die Katholische Landjugendbewegung Bayern (KLJB) reagierte die Landesseelsorgerin Julia Mokry auf die Recherche: „Sie enthält auch für uns neue Erkenntnisse zu einem völlig vernachlässigten Thema, das uns als kirchliche Jugendverbände in unserer Bildungsarbeit für Demokratie und Toleranz herausfordert.“ Die Arbeit sei eine sehr gute Anregung, auf antisemitische Ursprünge und bis heute vorhandene Symboliken einiger Feuer-Bräuche zu Ostern hinzuweisen.
Wertschätzender Dialog der Religionen
Jens Hausdörfer, Landesjugendseelsorger und Geistlicher Verbandsleiter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Bayern, ergänzte, man solle die Veranstaltungen überdenken, eigene christliche Traditionen kritisch aufarbeiten und über Antisemitismus aufklären. „Als Folge wünschen wir uns, dass nur noch zum wertschätzenden Dialog der Religionen und Glaubensgemeinschaften passende Formen von Feuern um Ostern stattfinden.“