Menschen lesen wieder Zeitung, die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF gehören für viele zum Pflichtprogramm. Ein Blick auf die Medienbranche in Zeiten der Corona-Krise.
Bonn/Eichstätt – „Es ist in diesen Zeiten ein Privileg, Leser Ihrer Zeitung zu sein“, oder: „Ein echter Lichtblick“. Noch vor wenigen Wochen von Teilen der Bevölkerung als „Systemmedien“ oder „Lügenpresse“ gescholten, scheint der professionelle Journalismus in Zeiten von Corona eine Art Renaissance zu erleben. Diesen Eindruck bestätigt nicht nur eine Zufallslektüre in den Leserbriefspalten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Experten wie Journalistik-Professor Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt stellen „sprunghafte Zugriffszahlen auf digitale Angebote“ fest, dazu neue Abo-Abschlüsse bei Zeitungsverlagen sowie „schwindelerregende Quoten der Nachrichten und Sondersendungen im Fernsehen und im totgesagten Radio“.
Fakten seien „die herausstechenden Qualitätsmerkmale in den Corona-Wochen und nicht Panikmache“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall. „Das ist es, was die Leser, Hörer und Zuschauer wollen – und das liefern wir ihnen.“ Und der Vorsitzende der Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP), Joachim Frank, ergänzt: „Die Menschen suchen nach verlässlicher Information. Sie wollen wissen, was um sie herum passiert, und sie schätzen die abwägenden, einordnenden Stimmen.“
Professionelle Berichterstattung systemrelevant
Professionelle Berichterstattung erweise sich vor diesem Hintergrund als systemrelevant, so Frank. „Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, welch hanebüchener, teils beängstigender und gefährlicher Informations-Unsinn im Umlauf ist.“ Journalisten, so fasst es der DJV-Vorsitzende Überall, zusammen, machten „seit Wochen einen tollen Job“. Alles also im grünen Bereich?
Nicht ganz, befand unlängst schon der Tübinger Medienprofessor und Buchautor Bernhard Pörksen in der „Stuttgarter Zeitung“: Eine Debatte über mögliche Exitstrategien habe beispielsweise lange nicht stattgefunden. Auch hätten sich „Experten-Monopole“ herausgebildet. Es fehle – jenseits der Virologen-Perspektive – das breitere Bild, „um die gesellschaftlichen, ökonomischen und psychischen Folgewirkungen der aktuellen Maßnahmen in den Blick zu bekommen“.
Corona ist Thema Nummer eins
Auch Pörksens Eichstätter Kollege Meier schlägt in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in eine ähnliche Kerbe. Problematisch findet er überdies den Umgang mit Zahlen, „die kein getreues Abbild der Wirklichkeit in Echtzeit liefern können und die deshalb noch stärker eingeordnet und hinterfragt werden müssten“. Mehr Zurückhaltung wünscht sich der Experte auch bei dramatischen Bildern wie den Sargtransporten im italienischen Bergamo – weil sie die gesamte Lage nicht korrekt wiedergäben und hauptsächlich Angst hervorriefen.
Gibt es ein Zuviel an Corona-Berichterstattung? Derzeit eher nicht, findet der GKP-Vorsitzende Frank, selbst Chefkorrespondent der DuMont-Gruppe. „An Lesequoten und Zugriffszahlen können wir messen: Corona ist nach wie vor das Thema Nummer eins für unsere Leserinnen und Leser. Insofern ist das Angebot auch angemessen.“
Überall: Menschen nicht „überinformieren“
Der DJV-Vorsitzende Überall kommt zu einem ähnlichen Schluss, warnt allerdings davor, die Menschen zu „überinformieren“. Mit der Zeit trete bei den meisten Lesern, Usern oder Zuschauern eine gewisse „Gewöhnung an das Ungewöhnliche“ ein. Dann dürften Journalisten den Zeitpunkt nicht verpassen, stärker wieder über andere Themen zu berichten.
Irgendwann wird wohl auch die Corona-Krise Geschichte sein. Politiker schwören die Gesellschaft bereits darauf ein, dass die Welt danach anders aussehen wird. Gilt das auch für den Journalismus? Wie lässt sich der Aufwind, in dem sich die klassischen Medien offenbar gerade befinden, verstetigen? „Vor allem dadurch, dass wir uns nicht wieder auf den Konkurrenzkampf mit den sogenannten Social Media einlassen“, meint Überall. Das habe der gesamten Branche geschadet. „Twitter und Facebook sind schneller, aber eben nicht besser als wir.“
Robusteres Geschäftsmodell nötig
Dazu bräuchte es allerdings ein robusteres Geschäftsmodell. Viele Medienhäuser, darunter auch große Player wie „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“, haben Kurzarbeit eingeführt. Anzeigenkunden und Werbeerlöse bleiben aus – Aufmerksamkeitskonkurrenten wie google und Facebook haben da inzwischen ein deutlich dickeres Polster