Christine Lieberknecht (CDU), die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen, wirft den Kirchen Versagen in der Corona-Krise vor. „Die Kirche hat in dieser Zeit Hunderttausende Menschen allein gelassen. Kranke, Einsame, Alte, Sterbende“, sagte Lieberknecht im Interview der „Welt“ (Montag online). „Es sind 8.000 Menschen an Covid-19 gestorben, aber seit März auch 150.000 Menschen aus anderen Gründen. Wo war da das Wort der Kirchen?“, fragte sie. Es habe keinen Trost und keine Aussegnung am Sterbebett gegeben.
„Da wurde kein letzter Psalm gebetet“, kritisierte die 62-Jährige. Das sei unmenschlich. Dabei hätte es nach dem Infektionsschutzgesetz auch ein Recht für Geistliche auf die Begleitung von Sterbenden gegeben, sagte die frühere evangelische Pastorin. „Dazu hätte ich mir ein klares Wort der Kirchen gewünscht“.
„Nicht irgendeine zivilgesellschaftliche Organisation“
Die Kirche sei „nicht irgendeine zivilgesellschaftliche Organisation“. Sie melde sich bei gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen stets zu Wort. „Aber in der Corona-Krise war dazu nur Schweigen. Viele Seelsorger fühlten sich von ihrer Amtskirche im Stich gelassen“, so Lieberknecht. Corona-Tests für Seelsorger hätten die Ansteckungsgefahr minimieren können. Und: „Ein seelsorgerliches Gespräch kann auch mit Abstandsregelung stattfinden. Aber dazu kam es oft gar nicht“, so die Ex-Ministerpräsidentin (2009-2014).
Die Christdemokratin würdigte darüber hinaus ihren Amtsnachfolger Bodo Ramelow (Linke), der zugegeben hatte, an der Beerdigung einer Nachbarin teilgenommen zu haben. Damit habe der Thüringer Ministerpräsident zwar gegen Regeln verstoßen, die er selbst in seiner Regierung aufgestellt habe. Mit seiner Teilnahme habe er aber „einem unhaltbaren Zustand Gesicht gegeben. Eigentlich wäre das die Aufgabe der Kirche gewesen.“