Franziskus zurück in seinem Element

Monatelang konnte Franziskus den Gläubigen nur virtuell nahe sein. Nun hat er zum ersten Mal seit dem Corona-Lockdown wieder mehrere hundert Gäste zur Generalaudienz im Vatikan empfangen.

Papst Franziskus

Papst Franziskus (Archivfoto: dreamstime)

Monatelang konnte Franziskus den Gläubigen nur virtuell nahe sein. Nun hat er zum ersten Mal seit dem Corona-Lockdown wieder mehrere hundert Gäste zur Generalaudienz im Vatikan empfangen.

Nichts hat der Papst in der Corona-Zeit wohl so sehr vermisst wie den persönlichen Kontakt zu den einfachen Gläubigen. Ein knappes halbes Jahr lang lebte der 83-Jährige weitgehend abgeschirmt im Vatikan. Jegliches Infektionsrisiko sollte vermieden werden. Mit Video-Ansprachen, nicht-öffentlichen Auftritten und nachdenklichen Texten versuchte Franziskus, seine Kirche durch die Krise zu lotsen. Doch erst jetzt ist der Menschenfischer wieder in seinem Element.

Franziskus verzichtet auf eine Schutzmaske

Rund 500 Personen haben sich am Mittwochmorgen im Innenhof des Apostolischen Palastes versammelt – zur ersten öffentlichen Generalaudienz nach dem Lockdown. Dem Kirchenoberhaupt ist bei jeder seiner Gesten anzumerken, wie viel Freude ihm die wiedergewonnene Nähe bereitet. Angst vor Corona? Fehlanzeige. Trotz Lungenvorerkrankung verzichtet Franziskus auf eine Schutzmaske. Und er lässt es sich nicht nehmen, bei seinem Einmarsch in den Damasus-Hof einzelne Gäste kurz zu begrüßen. Als ein libanesischer Priester ihm eine Libanon-Flagge reicht, küsst er spontan das Stück Stoff mit dem Wappen des krisengeschüttelten Staates.

„Ist das nicht schön?“, sind die ersten Worte, die der Papst zum Publikum spricht. „Nach etlichen Monaten nehmen wir unsere Treffen wieder auf, von Angesicht zu Angesicht, nicht von Bildschirm zu Bildschirm.“ Diese Unmittelbarkeit sei wohltuend für die Seele. Es ertönen Applaus und zustimmende Rufe aus der Menschenmenge. Nicht wenige Besucher lassen sich von der guten Stimmung mitreißen und legen ihren – eigentlich obligatorischen – Mund-Nase-Schutz beiseite.

Einhaltung des Abstandsgebots

Um die Einhaltung des Abstandsgebots zu gewährleisten, hat das Vatikan-Personal Holzabsperrungen sowie mehrere Reihen mit Plastikstühlen aufgebaut. Zwischen den Sitzen ist jeweils mindestens ein Meter Platz. Doch als sie den Papst sehen, vergessen selbst gesetzte Ordensschwestern für einen Moment die Etikette. Mehrere Besucher stellen sich für einen freien Blick auf ihre Stühle. Andere drängeln sich vor und filmen penetrant mit ihren Handys. Doch die umstehenden Schweizergardisten nehmen es mit den Schutzvorschriften an diesem Tag nicht gar so genau. Meist drücken sie ein Auge zu.

Schließlich handelt es sich um ein historisch bedeutsames Ereignis, mit dem der Vatikan nicht zuletzt eine Art Aufbruchstimmung vermitteln will. Die Generalaudienz im 40 mal 60 Meter großen Damasus-Hof ist nicht nur ein wichtiges Zeichen für die Rückkehr zur Normalität. Sie ist zugleich ein Novum in der katholischen Kirchengeschichte. „Ich bin so froh, dass ich heute mit dabei sein kann“, sagt die Berlinerin Katharina Bahn, die ihren Urlaub in Rom verbringt. „Ich bin zwar nicht katholisch, aber die Location ist auf jeden Fall interessant.“ Darum habe sie sich ab 7.30 Uhr in die Warteschlange auf den Petersplatz gestellt. Rund eine Stunde ist nötig, bis alle Sicherheitskontrollen einschließlich Thermoscanner passiert sind.

Zuspätkommer bleiben nur Stehplätze

Als der offizielle Teil der Audienz um 9.30 Uhr beginnt, ist die Kapazität des Innenhofs erschöpft. Für Zuspätkommer bleiben nur Stehplätze. Die Gäste könnten internationaler und vielfältiger kaum sein: Heitere Fußballfans in Sporttrikots sitzen neben in sich gekehrten Gläubigen, die nach dem Unbill der Pandemie auf ermutigende Worte hoffen.

Franziskus enttäuscht weder die einen noch die anderen. In seiner Ansprache betont er den Wert der Solidarität: „Wir sind alle miteinander verbunden, im Bösen wie im Guten.“ Die Pandemie habe eindrucksvoll vor Augen geführt, dass die gesamte Menschheitsfamilie „in einem gemeinsamen Haus“ lebe. „Daher können wir nur gemeinsam und solidarisch diese Krise überwinden.“

„Dieser Papst hat wirklich jedem etwas zu sagen.“

Was der Papst konkret unter Solidarität versteht, macht er zum Ende der Audienz am Beispiel des Libanon deutlich. Die innen- und außenpolitischen Spannungen in dem Nahost-Staat haben zuletzt bedrohlich zugenommen. Hinzu kam eine Explosionskatastrophe in der Hauptstadt Beirut, bei der Anfang August etwa 200 Menschen ums Leben kamen. Franziskus lässt den Priester aus dem Publikum mitsamt seiner Flagge zu sich holen und verkündet überraschend eine geistlich-diplomatische Offensive.

Zum einen ruft er zu einem Fasten- und Gebetstag für den Libanon auf. Zum anderen wolle er seinen Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin in den nächsten Tagen nach Beirut schicken. Die Menschen dort dürften „nicht allein gelassen werden“, lautet die Begründung. Selbst Teilnehmer wie Katharina Bahn, die der katholischen Kirche nicht sonderlich nahe stehen, reagieren beeindruckt. Diese Initiative sei „ergreifend“ gewesen, sagt die Deutsche und resümiert: „Dieser Papst hat wirklich jedem etwas zu sagen.“

Alexander Pitz (KNA)