Seit 2014 ist der Deutsche Pflegetag der zentrale Treffpunkt der Branche. Diesmal steht er ganz im Zeichen von Corona. Was ist der Gesellschaft Pflege wert, so die zentrale Frage. Auch die Kanzlerin meldet sich zu Wort.
Berlin – Auf sie kommt es derzeit wieder besonders an: auf die 1,6 Millionen Pflegekräfte in Deutschlands Kliniken, Altenheimen und ambulanten Pflegediensten. Doch viele sind frustriert: Die Arbeitsbelastung ist in der zweiten Welle der Pandemie wieder stark gestiegen. Erneut zeigt Corona wie im Brennglas, wo es in Gesundheitswesen und Altenpflege hapert.
In dieser Situation trifft sich die Branche am Mittwoch und Donnerstag zum Deutschen Pflegetag – erstmals ausschließlich digital. Schaut man auf die Rednerliste, könnten sich die Pflegekräfte gebauchpinselt fühlen: Rund ein Jahr vor der Bundestagswahl wendet sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einer Videobotschaft an die Teilnehmer, vom Kabinett werden außer Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch Arbeitsminister Hubertus Heil und Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) erwartet. Auch Bundesärztekammer und Deutsche Krankenhausgesellschaft sind mit ihren Präsidenten Klaus Reinhardt und Gerald Gaß vertreten.
Die Stimmung ist angespannt
Die Stimmung ist angespannt: Gerade erst hat etwa das Land Niedersachsen entschieden, die Arbeitszeit in der Pflege – wie im ersten Lockdown – auf bis zu 60 Wochenstunden zu erhöhen. Bereits im August schlug der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Alarm. Nötig sei ein klares Signal für bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen; sonst drohe eine weitere Abwanderung von Personal. „Das wäre fatal“, sagte Andreas Westerfellhaus. „Die Pflege ist am Limit“, erklärte auch ein „Bündnis für gute Pflege“ aus 23 Organisationen, zu denen Sozialverbände, Verbraucherschützer, kirchliche Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften gehören.
Dabei hat sich zuletzt durchaus einiges zum Positiven verändert: In der Ende Oktober abgeschlossenen Tarifrunde für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wurde für die beteiligten Pflegekräfte eine Lohnsteigerung von 8,7 Prozent und in der Spitze für Intensivkräfte von rund zehn Prozent vereinbart. Alle erhalten zusätzlich noch in diesem Jahr eine Corona-Prämie von 300 bis 600 Euro.
Bundesregierung will Tariflöhne in der Pflege durchzusetzen
Die Bundesregierung hält zudem weiter am Ziel fest, Tariflöhne durchzusetzen. Um über die Pflegeversicherung Leistungen abrechnen zu können, solle ein Pflegeheim oder ein Pflegedienst die Mitarbeiter in Zukunft nach Tarif bezahlen müssen, erklärte Spahn Anfang Oktober bei der Vorstellung eines sechs Milliarden Euro schweren Reformkonzepts.
Im Frühjahr wurden zudem höhere Mindestlöhne für die Pflege beschlossen. Der bislang allein auf Hilfskräfte ausgerichtete Pflegemindestlohn liegt derzeit bei 11,35 Euro im Westen und 10,85 Euro im Osten. Er soll in vier Schritten bis zum 1. April 2022 auf 12,55 Euro angehoben werden. Neu eingeführt wurde ein Mindestlohn für qualifizierte Pflegehilfskräfte, also angelernte Pflegekräfte mit einjähriger Ausbildung: Er soll bis zum 1. April 2022 auf 13,20 Euro steigen. Ab dem 1. Juli 2021 soll es zudem erstmals einen Mindestlohn von 15 Euro für Pflegefachkräfte geben.
Ausbildungszahlen in Pflege-Berufen klingen positiv
Positiv klingen auch die Ausbildungszahlen: 2019 haben sich so viele Menschen wie nie zuvor für eine Ausbildung in Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege entschieden. 8,2 Prozent mehr Bewerber als 2018 traten eine Pflegeausbildung an, insgesamt 71.300. Gegenüber 2009 war das sogar ein Plus um 39 Prozent. Kritiker verwiesen allerdings auf die enorm hohen Abbruchraten.
Erstmals will sich auch die neu gegründte Bundespflegekammer beim Deutschen Pflegetag präsentieren. 2019 aus der Taufe gehoben, soll sie die Interessen der 1,5 Millionen Pflegekräfte auf Bundesebene schlagkräftig vertreten und eine Selbstverwaltung des Berufs ermöglichen – und zwar auf Augenhöhe mit Bundesärztekammer und Apothekerkammer.
Turbulenzen auf Länderebene
Geschwächt wird dieses Ziel derzeit durch Turbulenzen auf Länderebene: Im September beschloss die Landesregierung in Baden-Württemberg, eine Landespflegekammer in dieser Legislaturperiode nicht mehr einzuführen. Zuvor war bekannt geworden, dass die Mitglieder der Pflegekammer Niedersachsen sich mehrheitlich gegen den Fortbestand ihrer Kammer aussprachen. In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz arbeiten die Gremien weiter. Auch in NRW ist eine Kammer im Aufbau.