Rufe nach Lockerungen für Geimpfte häufen sich

In Deutschland mehren sich die Rufe nach Lockerungen für bereits geimpfte oder von einer Covid-Erkrankung genesene Menschen.
Berlin – In Deutschland mehren sich die Rufe nach Lockerungen für bereits geimpfte oder von einer Covid-Erkrankung genesene Menschen. Vor dem Impfgipfel am Montag berichteten mehrere Medien über entsprechende Pläne der Bundesregierung. Es sei "nach aktueller Feststellung des Robert-Koch-Instituts davon auszugehen, dass Geimpfte und Genesene ein geringeres Risiko haben, andere Menschen anzustecken, als durch einen Antigentest negativ Getestete", zitiert die "Bild"-Zeitung aus einer Vorlage der Regierung.

Alena Buyx –Foto: © Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen

In Deutschland mehren sich die Rufe nach Lockerungen für bereits geimpfte oder von einer Covid-Erkrankung genesene Menschen. Vor dem Impfgipfel am Montag berichteten mehrere Medien über entsprechende Pläne der Bundesregierung. Es sei „nach aktueller Feststellung des Robert-Koch-Instituts davon auszugehen, dass Geimpfte und Genesene ein geringeres Risiko haben, andere Menschen anzustecken, als durch einen Antigentest negativ Getestete“, zitiert die „Bild“-Zeitung aus einer Vorlage der Regierung.

Konkret sollen Geimpfte ab 14 Tage nach der abschließenden Impfung und Genesene „bis zu sechs Monate nach der Feststellung der Genesung“ von Kontaktbeschränkungen etwa in Familien und Haushalten ausgenommen werden. Bei Reisen soll die Pflicht zu Zwangstests vor Reiseanritt und zur Quarantäne nach Rückkehr entfallen. In Läden und Märkten, Kultureinrichtungen, bei Sport und körpernahen Dienstleistungen solle eine Testpflicht ebenfalls entfallen. Soweit Bundesländer Testpflichten oder Beschränkungen etwa in der Außengastronomie vorsehen, sollen Geimpfte und Genesene ebenfalls davon ausgenommen sein. Auch für Pflegeeinrichtungen sollen Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) will im Mai einen verbindlichen Öffnungsfahrplan aus dem Corona-Lockdown festlegen. „Wir brauchen den Fahrplan zurück ins normale Leben, aber einen, der nicht nach ein paar Tagen widerrufen wird“, so Scholz in der „Bild am Sonntag“. „Ich will, dass wir als Regierung dann klare und mutige Öffnungsschritte für den Sommer festlegen.“ Zugleich betonte Scholz, dass die jetzt in Kraft getretene Bundesnotbremse notwendig sei. Er appellierte an die Bürger, sich „in den nächsten vier bis sechs Wochen nicht die Chance kaputtzumachen, im Sommer im Biergarten zu sitzen und in den Urlaub zu fahren“. FDP-Chef Christian Lindner begrüßte die Pläne der Bundesregierung. Wenn von Geimpften keine Gefahr ausgehe, entfalle jegliche rechtliche Grundlage, sie bei ihren Grundrechten einzuschränken, sagte Lindner der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Für ihn sei deshalb auch die Bundes-Notbremse nicht verfassungsgemäß, weil sie auch solche Menschen einschränke, von denen keine Gefahr ausgeht.

Buyx: Zukünftige Gleichstellung unproblematisch

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erklärte, es richtig und notwendig, Beschränkungen für Menschen zurückzunehmen, von denen nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts keine Gefahr mehr ausgeht. „Alten Menschen in Pflegeheimen, die geimpft sind, sollte es wieder möglich sein, gemeinsam zu essen. Sie sollten auch wieder Besuch bekommen. Und Großeltern sollten ihre Enkel sehen dürfen“, sagte sie der „Rheinischen Post“. „Wir brauchen Regelungen, die den Spielraum für Geimpfte und Getestete abstecken. Und wir brauchen endlich einen alltagstauglichen Vorschlag für einen Impfnachweis, aber auch einen verlässlichen Nachweis eines negativen Schnelltests.“ Auch Vertreter der Regierungskoalition forderten schnelle Erleichterungen für Geimpfte. „Alle Dienstleistungen und Einrichtungen, die nach heutiger Rechtslage negativ Getesteten offen stehen, sollten auch für Geimpfte geöffnet werden“, sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, sagte im „Tagesspiegel“, wenn die dritte Welle vorbei sei, „wäre eine zukünftige Gleichstellung von Getesteten, Geimpften und gegebenenfalls auch Genesenen etwa beim Zugang zu Restaurants oder Geschäften aus ethischer Sicht unproblematisch“. Weniger eingreifende Maßnahmen wie Abstandhalten und Masketragen müsse man aber auch ihnen weiter zumuten. Der Städte- und Gemeindebund rief dazu auf, zügig den digitalen Impfausweis einzuführen, um Freiheiten wieder zu ermöglichen. Besonders relevant sei, inwieweit Geimpfte das Virus nicht mehr an andere Menschen übertragen können. „Das scheint ja recht gut auszusehen“, sagte Buyx. Die Restrisiken seien dabei wohl „nicht höher als bei frisch Getesteten, eher niedriger“.

Je sicherer sei, dass Geimpfte das Virus nicht weitertragen, desto eher „müssten auch die starken Freiheitseinschränkungen für Geimpfte aufgehoben werden, etwa Quarantänepflichten“. Schwierig werde die Frage der Kontaktbeschränkungen, weil Unterschiede zwischen geimpften und nicht geimpften Menschen „nicht oder nur sehr schwierig umgesetzt und kontrolliert werden könnten“, sagt Buyx.

Von Christoph Arens (KNA)

Mehr Freiheiten für Geimpfte? – Brisante Debatte vor dem Impfgipfel

Vor dem Impfgipfel am Montag werden erneut Forderungen laut, geimpften Bürgern mehr Freiheiten zu geben. Das schlägt nach Medienberichten auch eine in der Bundesregierung abgestimmte Vorlage für das Treffen der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin vor. In der Debatte geht es auch um die Themen Solidarität, Gerechtigkeit und die Einschränkung von Grundrechten.

Worum geht es bei der Debatte?

Bereits im Frühjahr 2020 hatte es europaweit eine intensive Debatte darüber gegeben, ob der Staat Bürgern, die durch Tests oder Impfungen eine Immunität gegen Corona nachweisen können oder von einer Corona-Erkrankung genesen sind, eine Bescheinigung ausstellen darf, damit sie ohne Einschränkungen am öffentlichen Leben teilnehmen können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte daraufhin eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates angefordert. Das Gremium plädierte gegen die Einführung eines solchen Nachweises „zum jetzigen Zeitpunkt“. Begründet wurde das damit, dass bislang ein belastbarer Nachweis über Grad und Dauer einer Immunität fehlten.

Warum flammt die Debatte jetzt wieder auf?

Immer mehr Deutsche sind geimpft, deshalb wird die Debatte immer lauter, ob sie in ihrem normalen Alltag zurückkehren können, wie das etwa schrittweise in England passiert. Vor dem Impfgipfel am Montag plädiert auch die Bundesregierung dafür, bei Geimpften oder Genesenen Ausnahmen von den geltenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu machen. Konkret heißt es, dass Menschen, die gegen Covid-19 geimpft sind, und Genesenen dieselben Ausnahmen eingeräumt werden sollen, die bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 für negativ auf das Coronavirus Getestete gelten. Genesene und Geimpfte könnten zum Teil sogar besser gestellt werden als Getestete.

Begründet wird der Vorstoß damit, dass nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts davon auszugehen ist, dass Geimpfte und Genesene ein geringes Risiko haben, andere Menschen anzustecken, als durch einen Antigentest negativ Getestete. Das gelte bei Geimpften spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis.

Auch Gesundheitsminister Spahn hatte zuvor erklärt: „Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde.“ Wenn die dritte Welle der Corona-Pandemie gebrochen sei und weitere auf Schnelltests beruhende Öffnungsschritte wie beim Einzelhandel gegangen würden, komme diese Grundsatzentscheidung zum Tragen.

Damit stellt sich die Frage, ob man Bürger angesichts eines knappen Angebots an Impfstoff unterschiedlich behandeln darf…

Kritiker warnen vor einer Zweiklasseneinteilung und vor einer Spaltung der Gesellschaft. Erst wenn alle Bürger die Chance gehabt hätten, sich impfen zu lassen, könne man über eine solche Ungleichbehandlung nachdenken.

Was sagen die Befürworter von mehr Freiheiten für Geimpfte?

Es gibt gewichtige verfassungsrechtliche Gründe. So hält der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, eine Einschränkung von Grundrechten für Geimpfte für unzulässig. „Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken“, sagt er. Ähnlich argumentiert Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): Grundrechte seien keine Privilegien, betont sie. „Grundrechte stehen mir zu nach der Verfassung und wenn der Staat eingreift in diese Grundrechte, dann braucht er dafür gute Gründe.“ Der Schutz von Leib und Leben sei so ein Grund, aber wenn der wegfalle, weil von Geimpften keine Gefahr mehr ausgehe, dann habe der Staat keinen Grund mehr, in diese Grundrechte einzugreifen.

Der Deutsche Ethikrat hatte etwas anders argumentiert.

Er betonte in einer im Februar veröffentlichten Empfehlung, dass ein Teil der Bevölkerung eine ungleiche Behandlung als ungerecht beurteilen könnte. Die Regeln sollten für alle Personen zum selben Zeitpunkt aufgehoben werden. Am Wochenende erklärte die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, allerdings, es gebe mit den Aussagen des Robert Koch-Instituts eine neue Situation. Es werde schwer sein, die Freiheitsbeschränkungen aufrechtzuerhalten, wenn der Sachgrund entfalle. Große Nachteile für Nicht-Geimpfte ließen sich durch mehr Tests vermeiden.

Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind in der Corona-Pandemie besonders verletzlich. Gibt es für sie eigene Regeln?

Experten kritisieren, dass in vielen Pflegeeinrichtungen nach wie vor scharfe Kontaktbeschränkungen gelten. Die Berliner Caritas etwa forderte am Sonntag, mehr Normalität in den Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen. Es gebe zwar erste Lockerungsschritte, doch die reichten nicht. Bewohner und Personal seien weitgehend geimpft.

Wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe am Sonntag berichteten, will auch die Bundesregierung die Kontaktbeschränkungen für Pflegeheimbewohner deutlich lockern, „um eine soziale Isolation der Bewohner durch Corona zu vermeiden“. In einer Neufassung des Eckpunktepapiers für den Impfgipfel heißt es: „Zwei Wochen nach der einrichtungsbezogenen Zweitimpfung können die Besuchsmöglichkeiten in Einrichtungen ohne Ausbruchsgeschehen wieder erweitert werden und wohnbereichsübergreifende Gruppenangebote wieder durchgeführt werden.“ Eine Differenzierung zwischen geimpften und ungeimpften Bewohnerinnen und Bewohnern solle es danach bei den Maßnahmen nicht geben.

Wie könnte eine Impfung nachgewiesen werden?

Die 27 EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass es einen gemeinsamen digitalen Corona-Impfnachweis geben soll. Die EU-Kommission spricht von einem „grünen Zertifikat“, das sie im Juni einführen will. Welche Vorteile das Zertifikat den Geimpften verschafft, ist noch nicht ganz klar und könnte von Land zu Land unterschiedlich sein. In Deutschland ist ein digitaler Impfpass in Planung. Welche Rechte damit verbunden sein werden, steht noch nicht fest.