Caritas: Keine Abschiebungen nach Afghanistan

Der Deutsche Caritasverband fordert von der Bundesregierung einen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan. Dies sei aufgrund des Vorrückens der Taliban dringend geboten.
Der Deutsche Caritasverband fordert von der Bundesregierung einen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan ist vor diesem Hintergrund dringend geboten. Die Taliban rückten in Afghanistan unaufhaltsam vor, kaum ein Tag vergehe, an dem sie nicht Anschläge im Land verübten, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes vom Dienstag.

Caritas-Präsident Peter Neher. Foto: Deutscher Caritasverband e. V.

Der Deutsche Caritasverband fordert von der Bundesregierung einen Stopp aller Abschiebungen nach Afghanistan. Die Taliban rückten in Afghanistan unaufhaltsam vor, kaum ein Tag vergehe, an dem sie nicht Anschläge im Land verübten, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes vom Dienstag.

Am Wochenende hatten die Taliban die Provinzhauptstadt Kundus eingenommen. Seit dem Abzug der Nato-Truppen sind nun mehr als die Hälfte der Bezirke Afghanistans unter ihrer Kontrolle. Viele Menschen sind auf der Flucht. „Die humanitäre Situation, ohnehin durch eine sehr prekäre Ernährungslage seit langem sehr angespannt, verschärft sich durch die dritte Welle der Covid-19-Pandemie weiter. Die Lage am Hindukusch ist dramatisch und wird sich weiter verschlechtern“, so die Caritas.

Mit seiner Forderung an die Bundesregierung gehört der Deutsche Caritasverband zu einem breiten  Bündnis mit 26 Organisationen aus dem Bereich der Menschenrechte, der Entwicklungspolitik, der Wohlfahrt, Flucht und Asyl. Die afghanische Regierung hatte bereits im Juli die europäischen Staaten aufgefordert, vorläufig keine Abschiebungen mehr durchzuführen. Norwegen, Finnland und Schweden sind dieser Aufforderung nachgekommen.

Auch die Grenzschutzagentur Frontex hat Anfang August bekanntgegeben, keine Abschiebungen nach Afghanistan mehr unterstützen zu wollen. Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer Eilentscheidung am 2. August eine Abschiebung aus Österreich nach Kabul, die ursprünglich gemeinsam mit Deutschland stattfinden sollte, mit Verweis auf die dortige Sicherheitslage gestoppt. „Auch Deutschland darf die Augen vor der sich immer weiter verschlechternden Lage in Afghanistan nicht verschließen und muss alle Abschiebungen einstellen.

Rechtsstaat heißt, dass grundlegende menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden. Das völkerrechtliche Nicht-Zurückweisungsgebot, das Abschiebungen bei zu erwartenden schwersten Menschenrechtsverletzungen verbietet, gehört hierzu. Dieses Abschiebungsverbot gilt für alle Menschen, unabhängig von individuellem Verhalten. Unterzeichnet ist der Aufruf unter anderem von Amnesty International, dem AWO Bundesverband, Brot für die Welt, der Diakonie, dem Bischöflichen Hilfswerk Misereor, Oxfam Deutschland und terre des hommes Deutschland.

Migrationsforscher: Abschiebungen nach Afghanistan beenden

Angesichts des Vormarsches der radikal-islamischen Taliban hat unterdessen auch der Migrationsforscher Gerald Knaus ein Ende der Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan gefordert. “Viele Regierungen in Europa haben inzwischen die Abschiebungen eingestellt”, sagte Knaus dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag). “Zudem gibt es ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, dass eine Abschiebung aus Österreich verbietet.”

Außerdem bitte die afghanische Regierung eindringlich darum, niemanden mehr nach Afghanistan abzuschieben, betonte Knaus. “Ich finde also, auch Deutschland sollte die Abschiebungen einstellen. Symbolpolitik, die innenpolitisch motiviert ist, weil gerade Wahlkampf ist, ist fehl am Platz.”

Szenarien, wonach Europa sich auf eine ähnliche große Migrationsbewegung wie im Jahr 2015 einstellen müsse, nannte Knaus absurd: “In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind 600 Afghanen irregulär nach Griechenland gekommen. Es ist absurd, angesichts dieser geringen Zahl von einer massiven Fluchtbewegung zu reden. Das ist populistische Panikmache.” Derzeit kämen über die Türkei, also die Hauptroute für Afghanen, kaum noch Menschen nach Europa. “Das kann sich ändern, aber momentan lässt sich aus den Zahlen kein Trend ablesen”, so der Migrationsexperte.

Pro Asyl fordert Luftbrücke für ehemalige Ortskräfte

Angesichts des Taliban-Vormarsches in Afghanistan fordert die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl die Bundesregierung auf, bedrohte ehemalige Hilfskräfte der Bundeswehr mit einer Luftbrücke zu retten. “Es gibt mindestens 1.000 Ortskräfte, die noch in Afghanistan festsitzen. Die Bundesregierung muss ganz schnell mehrere Chartermaschinen hinschicken”, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der Düsseldorfer “Rheinischen Post” (Dienstag).

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor zwei Wochen in ihrer letzten Sommerpressekonferenz angekündigt, notfalls mit Chartermaschinen frühere afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und Entwicklungshilfe wie Dolmetscher und Fahrer auszufliegen. Seitdem hat die Regierung zu diesem Vorhaben offiziell nichts mehr verlauten lassen.

“Die Kanzlerin muss Wort halten. Wir brauchen eine Luftbrücke, um diese Menschen außer Landes und in Sicherheit zu bringen”, sagte Burkhardt unter Verweis auf die USA. Washington hat aus Sorge vor Racheakten der Taliban etliche Ex-Ortskräfte der US-Streitkräfte in die Vereinigten Staaten geholt.

Nach Angaben der Bundesregierung sind bislang rund 1.700 ehemalige Ortskräfte und deren Familien nach Deutschland gekommen. Die Zahl der ausgestellten Einreisevisa für Berechtigte wurde zuletzt mit 2.400 angegeben. Scharf kritisiert Pro Asyl, dass das Außenministerium seine Lageeinschätzung, die Grundlage für Abschiebungen ist, noch nicht der verschlechterten Sicherheitslage angepasst habe: “Außenminister Heiko Maas duckt sich weg und verschließt die Augen vor der brutalen Wirklichkeit in Afghanistan”, sagte Burkhardt. Es müsse einen sofortigen Abschiebestopp geben.

rwm/kna