In Armin Laschet hat erstmals seit 23 Jahren wieder ein Katholik Chancen, deutscher Bundeskanzler zu werden. Im Interview spricht er über mögliche Konsequenzen für eine von ihm geführte Regierung.
Aachen – In Armin Laschet hat erstmals seit 23 Jahren wieder ein Katholik Chancen, deutscher Bundeskanzler zu werden. Im Interview spricht er über mögliche Konsequenzen für eine von ihm geführte Regierung.
Herr Laschet, sind Sie eigentlich ein typisch rheinischer Katholik? Also einer, der Dogmen und Morallehre seiner Kirche kennt, in der praktischen Umsetzung aber eher pragmatisch ist? Und gibt es da eine Schnittmenge mit Papst Franziskus?
Laschet: Zunächst einmal bin ich ein Katholik aus dem Rheinland. Und der rheinische Katholizismus hat etwas besonders Lebensnahes. Ich finde, er passt deshalb sehr gut zum christlichen Menschenbild, das sehr positiv auf den Menschen schaut, aber auch um seine Schwächen weiß. Jedes System, jede Gesellschaft und auch jede Religion braucht ganz selbstverständlich Normen und Regeln. Trotzdem sind Normen kein Selbstzweck, sondern sie dienen letztlich dem Menschen. Und da sind wir dann tatsächlich bei Papst Franziskus. Er hat einmal gesagt: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.“
Ich glaube, genau darum geht es im Glauben und in der Kirche. Sich den Menschen zuzuwenden ist wichtiger als die reine Lehre hochzuhalten. Wir brauchen Normen und Regeln, aber genauso brauchen wir auch Barmherzigkeit. Deshalb basieren auch die Kirche und ihre Lehre nicht nur auf Regeln, sondern auch auf Liebe und auf Mitgefühl. Das ist eine theoretische Annäherung an das, was sich durch eine große lebensnahe Erfahrung über die Jahrhunderte hinweg ganz praktisch als rheinischer Katholizismus herausgebildet hat. Und in diesem Sinne bin ich dann gerne auch ein rheinischer Katholik.
Was ist für Sie Politik, und was macht einen guten Politiker aus? Und gibt es heute noch so etwas wie christliche Politik?
Laschet: Max Weber hat geschrieben: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Genau das beschreibt auch Attribute eines guten Politikers: Man braucht die Leidenschaft, sich für Menschen und für die Sache einzusetzen. Und ich ergänze: Leidenschaft bedeutet außerdem, einen wertegebundenen inhaltlichen Antrieb zu haben. Die Politik der CDU ist vom christlichen Menschenbild geleitet. Mit dieser Orientierung ist ein zwar hoher Anspruch verbunden, der sich aber lohnt.
Der nächste Bundestag wird über ethisch heikle Themen entscheiden müssen. Da geht es um die Fortpflanzungsmedizin und um die Sterbehilfe. Kann die Union verhindern, dass Deutschland auf diesen Feldern eine liberale Gesetzgebung ähnlich wie in Belgien oder den Niederlanden bekommt?
Laschet: Unser Ziel ist es, stärkste Kraft zu werden, so dass wir im Bundestag die besten Chancen haben, werteorientierte Politik zu gestalten und unsere Positionen durchzusetzen. Bei Ihrem Beispiel der Sterbehilfe etwa ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe notwendig geworden, eine gesetzliche Neuregelung zu erarbeiten. Hier ist uns wichtig, ein umfassendes Schutzkonzept zu erarbeiten, das die Würde des Menschen, seine wohlverstandene Selbstbestimmung und den Schutz des Lebens in den Mittelpunkt stellt. Wir brauchen ein ganzheitliches Schutzkonzept am Ende des Lebens, das neben einer weiter zu verbessernden hospizlichen und palliativen Betreuung auch mehr Suizidprävention umfasst.
Vieles scheint derzeit im Fluss: Was ist Ehe? Was Familie? Was ist ein Mann, was eine Frau? Was ist Elternschaft? All ihre möglichen Koalitionspartner wollen hier aktiv die Veränderung per Gesetz vorantreiben. Was werden Sie tun?
Laschet: Für uns Christdemokraten ist Familie überall dort, wo Menschen miteinander dauerhaft verbunden oder verwandt sind und verbindlich – auch über Generationen hinweg – Verantwortung füreinander übernehmen. Familie ist die Basis des Zusammenhalts, der wichtigste Stabilisierungsfaktor unserer Gesellschaft, unabhängig vom kulturellen Hintergrund. Familie ist für die Gesellschaft von unschätzbarem Wert. Familie ist die erste Schule für Gemeinschaft und Verantwortung, zugleich Heimat und Zuflucht, für viele ein Leben lang.
Als CDU fördern wir den Zusammenhalt von Familien durch möglichst gute Rahmenbedingungen für familiäre Fürsorge und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Indem wir das Zusammenwirken der Angehörigen erleichtern, beugen wir zugleich der Vereinsamung alleinstehender Familienmitglieder vor.
Zu den Gruppen, die in diesem Bereich eher traditionell denken, zählen die meisten Muslime. Sie waren mal Integrationsminister mit dem Spitznamen „Türken-Armin“. Glauben Sie, dass gemäßigt konservative Muslime ein stabilisierender Faktor für unsere sich rasant verändernde Gesellschaft sein können?
Laschet: Das Grundgesetz räumt den Religionen große Freiheit ein. Ich bin überzeugt davon, dass Religionen und ein vernunftgebundener Glaube eine produktive Kraft in der Gesellschaft entfalten können. Deshalb glaube ich, dass Menschen ebenso aus ihrem muslimischen Glauben heraus positiv in die Gesellschaft hineinwirken. Das gilt es zu fördern und zu unterstützen. Unterscheiden davon würde ich, wenn Religion quasi losgelöst von einem religiösen Bekenntnis ausschließlich als Identitätsmarker genutzt wird.
Wie geht es weiter mit der Flüchtlingspolitik? Die Migration aus Afghanistan und über Nordafrika reißt nicht ab. Haben Sie einen Plan?
Laschet: Wir werden denjenigen, die jahrelang in Afghanistan für die Bundeswehr, das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit oder politische Stiftungen gearbeitet haben, aber auch Frauenrechtlerinnen, Medienschaffende oder Politikerinnen weiterhin schnell und unbürokratisch helfen. Ein großer Teil der Menschen, denen die Flucht aus Afghanistan gelingt, bleibt in den Nachbarländern Iran und Pakistan. Wir wollen deshalb jetzt noch viel stärker als 2015 auf „Hilfe vor Ort“ setzen, das heißt, wir werden die Aufnahmeländer in der Region unterstützen.
Mit Blick auf Afrika sowie den Nahen und Mittleren Osten muss die EU die Zusammenarbeit mit den Hauptherkunftsländern intensivieren und Fluchtursachen bekämpfen. Dazu ist insbesondere eine umfassende Partnerschaft mit unserem Nachbarkontinent Afrika und eine aktive Stabilisierungspolitik im Nahen und Mittleren Osten notwendig.
Die Versorgung von Schutzsuchenden ist eine europäische Herausforderung, der mit einem europäischen Ansatz in der Flüchtlings- und Migrationspolitik begegnet werden muss. Wir brauchen gemeinsame Standards im Asylsystem und eine europaweite Harmonisierung der Aufnahmebedingungen. Auch sprechen wir uns für EU-verwaltete Entscheidungszentren an den Außengrenzen der EU aus. So kann anhand fairer und transparenter Kriterien zeitnah geprüft werden, ob ein Asylanspruch vorliegt oder nicht.
Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)
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