Der Münchner Kardinal Reinhard Marx fordert eine Debatte über die Zukunft des westlichen Wohlstandsmodells.
Frankfurt – Der Münchner Kardinal Reinhard Marx fordert eine Debatte über die Zukunft des westlichen Wohlstandsmodells. Trotz Pandemie und Klimakrise konzentriere sich die politische Diskussion vor allem auf die Frage, „wie können wir unseren Wohlstand sichern“, sagte Marx am Mittwochabend bei einer online übertragenen Debatte der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen. In der Pandemie sei die Chance verpasst worden, neu zu denken. „Im Grunde ging es nicht darum, einmal neu zu denken, was ist jetzt eigentlich dran, sondern möglichst schnell wieder die alten Bahnen zu finden. Und ich kann nicht erkennen, dass sich das geändert hätte“, sagte Marx.
Marx: Wirtschaft müsse Menschen dienen
Der Kardinal forderte, die Wirtschaft müsse dem Menschen dienen. Er sprach davon, über den Kapitalismus hinaus zu denken. Ungleichheiten in der Gesellschaft hätten zugenommen. Weiter verwies er auf eine „Renaissance der Nationalismen“, zunehmende Polarisierung und steigende politische Spannungen. Marx mahnte, das Versprechen von Chancen für alle sei nicht mehr gegeben. „Wenn wir aus der Krise kommen wollen, aus allen Krisen, den Problemen, sollten wir von unten her, von denen, die die Lasten tragen, von denen, die die Kosten tragen, aufs Ganze schauen und nicht von oben her.“
Die Sozialethik sei in der Pflicht aufzurütteln und die Frage zu stellen, wo es hingehen solle. „Es gibt keine andere Perspektive als in einem Weltgemeinwohl zu denken und eine globale Solidarität in den Blick zu nehmen“, sagte Marx. Das sei mühsam. „Aber die Schritte dahin sind vielleicht durch die Klimabewegung deutlicher geworden“, so der Kardinal. Es brauche eine neue Fortschrittsidee. „Fortschritt kann nur richtig sein, wenn er allen zugutekommt.“
Bedeutendster Sozialwissenschaftler des 20. Jahrhunderts
Marx äußerte sich bei einer Diskussion zum 30. Todestag des katholischen Theologen, Jesuiten und Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning (1890-1991), der zu den bedeutendsten Sozialwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts zählt. Nell-Breuning prägte die katholische Soziallehre und sozialpolitische Debatten in Deutschland. Er war Mitverfasser der 1931 von Papst Pius XI. veröffentlichten Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“, die eine Sozialbindung des Eigentums forderte.