Missbrauchsstudie: 216.000 Opfer seit 1950

In der katholischen Kirche in Frankreich hat es laut einer Untersuchung seit 1950 geschätzt 216.000 minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester, Ordensleute und Kirchenmitarbeiter gegeben.

In der katholischen Kirche in Frankreich hat es laut einer Untersuchung seit 1950 geschätzt 216.000 minderjährige Opfer sexueller Übergriffe durch Priester, Ordensleute und Kirchenmitarbeiter gegeben. Man habe zwischen 2.900 und 3.200 potentielle Täter ermittelt, so das Ergebnis einer unabhängigen Kommission, deren Gründung die französischen Bischöfe im November 2018 in Auftrag gegeben hatten. Am Dienstag übergab der Vorsitzende der Untersuchungskommission, der frühere Richter Jean-Marc Sauve, öffentlich den rund 2.500 Seiten umfassenden Abschlussbericht an die Vorsitzenden der Bischofskonferenz und der Konferenz der Ordensleute, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort von Reims und Schwester Veronique Margron.

Missbrauchsopfer nimmt Bischofskonferenz in die Pflicht.

Bei der Präsentation des Abschlussberichts dankte das Missbrauchsopfer Francois Devaux, Gründer der Vereinigung La Parole Liberee, der Untersuchungskommission für ihre „enorme Arbeit“. Mit eindrücklichen Worten nahm er die Bischofskonferenz in die Pflicht. In direkter Ansprache sagte er an die Adresse der Kirchenleitung: „Meine Herren, Sie sind eine Schande für die Menschlichkeit.“ Die Kirche trage Verantwortung für ungezählte Verbrechen, und, so Devaux: „Sie müssen für jedes dieser Verbrechen bezahlen.“

Auch die Zeitung „La Croix“ (online Dienstag) zitierte im Vorfeld Opfer und Opfervereinigungen. Sie erwarteten von der Kirchenleitung eine „klare und engagierte Antwort“. Das gelte auch für jene, die bislang noch nicht die Kraft hätten, aus ihrem Leiden auszubrechen. Die Übergabe des Berichts in Anwesenheit des päpstlichen Nuntius in Frankreich, Erzbischof Celestino Migliore, wurde live vom katholischen Sender KTO übertragen. Die Unabhängige Untersuchungskommission sexuellen Missbrauch in der Kirche (Ciase) wurde am 8. Februar 2019 eingesetzt. Dem Gremium gehören Juristen, Mediziner, Historiker und Theologen an.

Kommission leistet 26.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit

Die Ergebnisse basieren nach Angaben von Kommissionsleiter auf Daten aus Archiven von Kirche, Justiz, Staatsanwaltschaft und Medien sowie auf den Zeugenaussagen, die das Gremium erhalten habe. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, de Moulins-Beaufort, hatte im Vorfeld geäußert, das Ausmaß der Sexualverbrechen im kirchlichen Umfeld sei „größer als befürchtet“. Tatsächlich hatte der frühere Richter Sauve die Zahl der Fälle im Sommer 2020 noch auf mindestens 3.000 und die der kirchlichen Täter auf rund 1.500 taxiert.

Die Ciase hatte mehrere tausend Zuschriften erhalten und Hunderte Interviews mit mutmaßlichen Opfer gehalten. Nach eigener Aussage leisteten die Mitglieder der Kommission seit 2018 insgesamt rund 26.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit. Die unabhängige Untersuchungskommission legt mit ihrem Abschlussbericht auch einen Katalog von Empfehlungen zur Missbrauchsprävention vor. Frankreichs Bischöfe hatten bei ihrer Vollversammlung Ende März in Lourdes einen Katalog mit elf Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch beschlossen. Erzbischof de Moulins-Beaufort bat die Opfer erneut um Vergebung für ein Versagen der Kirche auf verschiedenen Verantwortungsebenen.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

Abschlussbericht wird in Frankreich wohl hohe Wellen schlagen