Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat sich offen für das Modellprojekt zu Muezzinrufen in Köln gezeigt.
Mannheim – Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat sich offen für das Modellprojekt zu Muezzinrufen in Köln gezeigt. „Das ist etwas, was man sehr stark vor Ort klären muss. Es gibt ganz unterschiedliche Kulturen interreligiösen Dialogs. Wenn das in Köln als integrativer Teil eines religiösen Lebens erlebt wird, dann ist da nichts dagegen zu sagen“, sagte der bayerische Landesbischof im Interview des „Mannheimer Morgen“ (Samstag).
Bedford-Strohm: Interreligiösen Dialog intensivieren
Dagegen sei das Glockengeläut etwas anderes: „nämlich Ausdruck der gewachsenen Kultur hier in Deutschland, wo Glockengeläut für viele Menschen einfach dazugehört. Aber auch da gibt es ja Proteste an manchen Orten, weil Menschen sich gestört fühlen.“ Insgesamt habe das Geläut „in unserer westlichen Kultur bisher einen anderen Stellenwert als der Muezzinruf“. Zugleich gebe es Weiterentwicklungen. „Deswegen müssen wir den interreligiösen Dialog intensivieren – im Geist der Toleranz, den ich mir für die Gesellschaft insgesamt wünsche“, sagte Bedford-Strohm.
„Dass Muslime hier leben, dass sie auch ihre Religion ausüben, und nicht nur im privaten Kämmerlein, gehört für mich zu einer demokratischen Gesellschaft. Gleichzeitig ist das Christentum die Kultur, die hier gewachsen ist“, betonte der Landesbischof. Jetzt sei man in einem „Findungsprozess, wie man die Tatsache, dass Muslime hier ihren Glauben auch leben dürfen, vor Ort gestaltet“.
Bildungsarbeit zentral
Auf die Äußerung des Interviewers, man habe im Moment den Eindruck, Muslime würden durch die Politik ermuntert, während Juden Probleme hätten, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu zeigen, sagte der Bischof: „Also wenn es so wäre, wäre das ganz fürchterlich.“ Alle müssten gegen Antisemitismus einstehen. „Niemand kann sich auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn er antisemitische Äußerungen macht. Überall, wo Juden verbal oder sogar physisch bedroht werden, müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und klar Flagge dagegen zeigen.“
Wenn Menschen wegen ihres Glaubens angefeindet oder angegriffen würden, müsse dies strafrechtlich verfolgt werden, so Bedford-Strohm. Polizisten müssten „ausreichend sensibilisiert“ werden. „Um das Problem bei der Wurzel zu packen, ist Bildungsarbeit zentral. Und es gehört zivilgesellschaftliches Engagement dazu und die politisch klare Wegweisung, dass Antisemitismus nicht geduldet wird.“
Projekt zu Muezzinrufen in Köln steht weiter in der Kritik
Das Modellprojekt zu Muezzinrufen in Köln stößt weiter auf Ablehnung. Kritiker sprachen am Freitag von einer unzulässigen Bevorzugung einer Minderheit. Der islamische Gebetsruf beinhalte problematische Botschaften und würde von vielen Muslimen gar nicht als notwendig erachtet. Zuvor hatten sich in einer repräsentativen Umfrage drei Viertel der Deutschen gegen einen alltäglichen Muezzinruf in Städten und Dörfern ausgesprochen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) verteidigte indes das Projekt, das auf zwei Jahre befristet ist und Auflagen vorsieht.
Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter sagte im „Deutschlandfunk“, der islamische Gebetsruf beinhalte im Gegensatz zum christlichen Glockengeläut die ausdrückliche Botschaft, dass Allah der Größte sei. Die Genehmigung des Rufs bedeute ein Privileg vor allem für die Vertreter eines politischen Islam wie etwa der Ditib, der Auslandsorganisation der türkischen Religionsbehörde. Schröter zeigte sich überzeugt, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland den Muezzinruf gar nicht wolle. Vor allem Geflüchtete hätten damit sogar teils traumatische Erfahrungen gemacht.
Für Erdogan „ein politischer Triumph ersten Ranges“
Der Publizist und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad warnte in der „Welt“ vor einer verfassungswidrigen Bevorzugung einer Minderheit. „Jeder Muslim darf beten, fasten und nach Mekka pilgern, wie er das möchte. Aber warum sollen einige Menschen das Recht bekommen, per Lautsprecher ihre Stadtviertel zu beschallen?“ Niemand dürfe aufgrund seiner Religion bevorzugt werden.
Der frühere Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, Michael Bertrams, wies darauf hin, dass es gerade in Köln viele Ditib-Gemeinden gebe. Die türkische Religionsbehörde sei Präsidenten Recep Tayyip Erdogan „treu ergeben“. Bertrams bezeichnete Erdogan als einen Autokraten, der eine nationalistisch-islamistische Expansionspolitik betreibe. Er habe Zugriff auf alle Ditib-Gemeinden – „bis hin zum Missbrauch der Gemeindestrukturen für die Bespitzelung von Gegnern“. Die Zulassung des Muezzinrufs sei für Erdogan „ein politischer Triumph ersten Ranges“.
Diskussion auf Stammtischniveau
Oberbürgermeisterin Reker hielt im „Deutschlandfunk“ dagegen. Bei dem Projekt stehe nicht Erdogan im Vordergrund, sondern die Musliminnen und Muslime, die in Köln lebten. Sie sollten die Möglichkeit haben, ihre Religion auszuüben. Es möge zwar eine Gefahr durch intolerante islamische Strömungen geben. Die Stadt passe aber sehr gut auf und mache Auflagen.
Der Vorsitzende des NRW-Integrationsrats, Tayfun Keltek, erinnerte auf watson.de an das im Grundgesetz garantierte Recht auf freie Religionsausübung. „Wir meinen, mit unserem Grundgesetz und mit unseren Werten Weltklasse zu sein“, so Keltek. „Aber wenn es darauf ankommt, diskutieren wir kleinkariert und auf Stammtisch-Niveau.“
Mehrheit gegen Muezzinruf
Einer Umfrage des „Bonner General-Anzeigers“ zufolge lehnen drei Viertel der Menschen in Deutschland ab, dass der Muezzinruf genauso selbstverständlich zu hören sein sollte wie Kirchenglocken. 64 Prozent wollen dies sogar „auf keinen Fall“, wie die Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt. Mit 98 Prozent sind laut Angaben fast alle Anhänger der AfD gegen den alltäglichen Muezzinruf. Unter den Unions- und FDP-Wählern liegt die Ablehnung mit je 88 Prozent ebenfalls über dem Schnitt aller Teilnehmenden. Zudem verneinten 82 Prozent der Katholiken und 71 Prozent der Protestanten die Frage.
Dass der Muezzinruf genauso selbstverständlich erklingt wie Kirchenglocken, ist allerdings selbst im Kölner Modellprojekt unwahrscheinlich. Die Stadt kündigte vergangene Woche an, dass Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen ihre Gläubigen an Freitagen zum Gebet rufen können. Der Ruf dürfe maximal fünf Minuten lang erklingen. Die Lautstärke werde abhängig von der Lage der Moschee mit einer Höchstgrenze festgelegt. Die umliegende Nachbarschaft sei im Vorfeld zu informieren und eine Ansprechperson für Fragen zu benennen. Bislang habe noch keine Gemeinde einen Antrag gestellt.
In Deutschland gibt es bislang einige Dutzend Gemeinden, in denen der Muezzin zum Gebet rufen darf. Das stadtweite Kölner Projekt ist in dieser Form einzigartig. Zum Muezzinruf, der auf Arabisch erfolgt, gehört der Satz „Allah ist größer“, wobei gemeint ist, dass Allah größer als alles andere sei.