Österreich hat eine Impfpflicht ab Februar beschlossen. Auch in Deutschland werden die Stimmen immer lauter. Allerdings gibt es gravierende Bedenken.
Berlin – Die vierte Corona-Welle trifft Deutschland mit voller Wucht. Während Österreich eine allgemeine Impfpflicht ab Februar beschlossen hat, mehren sich auch in der deutschen Politik die Stimmen, die Welle durch einen solchen Schritt zu bremsen. Dabei gibt es starke verfassungsrechtliche Bedenken, aber auch ganz praktische Einwände. Vor allem in der Union werden die Stimmen für eine allgemeine Impfpflicht immer lauter. Die SPD-Bundestagsfraktion will am heutigen Montag in einer internen Videokonferenz das Für und Wider mit Wissenschaftlern wie dem Virologen Christian Drosten diskutieren.
Impfpflicht als „Ultima Ratio“
Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), derzeit Vorsitzender der Gesundheitsminister-Konferenz, bezeichnete am Montag im Deutschlandfunk eine allgemeine Impfpflicht als „Ultima Ratio“. Er sei überzeugt davon, dass sie die Pandemie beenden könne und man so aus der Endlosschleife der Einschränkungen herauskomme. Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban (CDU), berichtet von einer innerlichen Kehrtwende. „Auch ich habe lange Zeit auf die Freiheit und Verantwortung des Einzelnen gesetzt“ schrieb er in der „Welt“. Aber jetzt sei „ein Punkt gekommen, an dem wir ganz klar sagen müssen: Wir brauchen eine De-facto-Impfpflicht und einen Lockdown für Ungeimpfte“.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hofft noch, dass die Bereitschaft zur freiwilligen Impfung wächst. „Wenn nicht, bin ich allerdings auch bereit, diesen Schritt zu gehen“, sagte er. Doch aus der Union kommen auch warnende Stimmen: „Einer allgemeinen Impfpflicht im Sinne einer Zwangsimpfung stehe ich sehr skeptisch gegenüber“, sagte der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) am Montag der „Welt“. Es handele sich schließlich um einen „schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit“, der verfassungswidrig sein könnte.
RKi-Chef Wieler: „Wenn man alles andere versucht hat, muss man auch über Impfpflicht nachdenken“
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) befürchtet, dass ein Impfzwang weitere Menschen zu Demonstrationen auf die Straße treiben würde. „Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen“, sagte er am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“. Gerade weil die Zahlen so stark stiegen, könnten Menschen überzeugt werden, sich impfen zu lassen – „weil sie auch merken, sie verlieren ihre Freiheiten“. Auch bei SPD und Grünen gibt es Signale, über eine Impfpflicht nachzudenken: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dem TV-Sender „Bild“, man müsse sich dem Gedanken annähern: „Ohne Impfpflicht erreichen wir offensichtlich die Impfquote nicht, die wir benötigen, um (…) über die Runden zu kommen.“
Auch der Gesundheitsexperte der Grünen im Bundestag, Janosch Dahmen, setzt zunächst auf mehr Überzeugungsarbeit. Im ARD-Morgenmagazin schloss er aber eine mögliche Impfpflicht bei steigenden Infektionszahlen nicht aus. Der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, erklärte am Sonntagabend im ZDF mit Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Impfpflicht sei ein Mittel, das keiner haben wolle. „Aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO, muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken.“
Bewegung auch bei der FDP
Viel spricht dafür, dass die Politik zumindest eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen in Gesundheitswesen und Pflege beschließen könnte. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach sich bei „Anne Will“ dafür aus, vor Weihnachten zu klären, wie dies rechtssicher umgesetzt werden kann. Auch die FDP schließt das offenbar nicht mehr aus. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, sagte dem „Tagesspiegel“: „Wenn die Befürchtungen zum drohenden Personalverlust nicht mehr gelten, gibt es aus meiner Sicht keine fundamentalen Bedenken.“
Der Deutsche Pflegerat ist da schon einen Schritt weiter: Präsidentin Christine Vogler sprach sich gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland dafür aus, dass ungeimpfte Mitarbeiter in Pflegeheimen dann gekündigt werden. „Wenn der Gesetzgeber fordert, dass nur Geimpfte und Genesene in Pflegeheimen arbeiten dürfen, haben die Einrichtungen gar keine andere Wahl, als sich von diesen Mitarbeitenden zu trennen“, sagte sie.