Der Bielefelder Professor für Öffentliches Recht, Franz C. Mayer, schließt als mögliche Sanktion für Verweigerer der Corona-Impfung nicht aus, dass sie ihren Krankenversicherungsschutz verlieren.
Berlin – Der Bielefelder Professor für Öffentliches Recht, Franz C. Mayer, schließt als mögliche Sanktion für Verweigerer der Corona-Impfung nicht aus, dass sie ihren Krankenversicherungsschutz verlieren. „Eine allgemeine Impfpflicht ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Dienstag). „Es kommt auf die guten Gründe und dann auf die Verhältnismäßigkeit an. Grundsätzlich gilt: Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind – das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne nicht gelingt.“
Sanktionen bei Verletzung der Impfpflicht müssten verhältnismäßig sein, so Mayer weiter. „Deswegen wird man sicher beim gegenwärtigen Stand der Infektionslage niemanden mit Gewalt zwangsimpfen.“ Denkbar seien aber neben Bußgeldbewehrung empfindliche Nebenfolgen wie etwa gesetzliche Regelungen zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes: „Wer pflichtwidrig ungeimpft krank wird, könnte auf den Kosten sitzen bleiben.“ Letztlich sei bei der Ankündigung einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht bereits die Kommunikation darüber Teil der Impfstrategie, sagte der Rechtsprofessor. „Schon die Aussicht auf eine solche Pflicht könnte viele dazu bewegen, sich doch noch impfen zu lassen.“
Der frühere Professor an der Berliner Humboldt-Universität, Ulrich Battis, sagte dem RND, eine allgemeine Impfpflicht sei „durchsetzbar“ und „verhältnismäßig“. Sie müsse aber auch geeignet sein. „Das ist sie nicht, wenn sie nicht umgesetzt wird“, sagte der Verfassungsrechtler. Eine Umsetzung würde demnach darin bestehen, Ungeimpfte zum Zu-Hause-Bleiben zu verpflichten. Ein Bußgeld reiche nicht. Battis verwies auf Artikel 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums sagte dem RND zum Thema Impfpflicht: „Das ist als Ultima Ratio nicht ausgeschlossen und verfassungsrechtlich vorstellbar.“ Ausschlaggebend sei, „ob es dafür einen Bedarf gibt und ob es mildere Mittel gäbe. Das ist eine Frage der Einschätzung.“ Der Sprecher verwies auf ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1959, das die Pocken-Impflicht für rechtmäßig erklärt hatte.
Söder und Kretschmann für Impfpflicht
Die Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg, Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne), fordern die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zur besseren Eindämmung der Pandemie. Unterdessen sind Verfassungsrechtler uneins über die Konformität mit dem Grundgesetz.“Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen“, schreiben Söder und Kretschmann in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Dienstag). „Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine Freiheit der Willkür. Es folgt vielmehr dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung. Es verpflichtet uns dazu, die Freiheiten aller Betroffenen zu gewichten und auf dieser Basis zu entscheiden“, so die Politiker.
In Deutschland könne jeder denken, was er wolle, und so eigensinnig sein, wie er wolle, schreiben Söder und Kretschmann. Doch sei die Grenze, „wenn die eigene Weltanschauung anderen Menschen schweren Schaden“ zufüge. „Genau das ist in der Frage der Impfverweigerung der Fall. Das Ergebnis dieser Abwägung ist gerade jetzt, nachdem wir mit milderen Mitteln nicht weiterkommen, die Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht“, heißt es in dem Gastbeitrag. Eine allgemeine Impfpflicht werde die Gesellschaft nicht spalten: „Die Gesellschaft droht nicht dann zu zerbrechen, wenn der Staat die Dinge in die Hand nimmt und eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht einführt. Sie droht dann zu zerbrechen, wenn er die Dinge treiben lässt“, so die Länderchefs.
Juristen uneins
Unterdessen äußern Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht unterschiedliche Ansichten zu dem Thema. Es sei zwar als besonderer Eingriff zu verstehen, „wenn der Staat jetzt auch noch die körperliche Integrität der Menschen beeinträchtigt“, sagte der Münsterander Professor Hinnerk Wißmann der „Welt“ (Dienstag). Eine Impflicht sei jedoch das mildere Mittel, „wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen“.
Auch Wißmanns Frankfurter Kollege Uwe Volkmann erklärte, die individuelle Eingriffstiefe einer Impfpflicht sei geringer als „die andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen“. Als Rechtspflicht komme eine Impfpflicht ohne die starke moralische Aufladung der jetzigen Ausgrenzungsstrategie aus, so der Professor.
Thorsten Kingreen, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht und Gesundheitsrecht an der Uni Regensburg, hält es demnach für ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht eine allgemeine Impfpflicht generell für unzulässig erklärt. Aktuell seien jedoch mildere Maßnahmen noch nicht ausgeschöpft, was für die Verhältnismäßigkeit notwendig sei. „Statt flächendeckend auf 2G und Boostern zu setzen, haben wir den Sommer damit verbracht, uns um angebliche Diskriminierungen von Ungeimpften zu sorgen“, sagte Kingreen.
Dagegen nannte sein Oldenburger Kollege Volker Boehme-Neßler eine Impfpflicht „unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, solange es Möglichkeiten zur Kommunikation gibt“. Anders als Politiker behaupteten, „haben Staat und Politik keineswegs bereits genug mit den skeptischen Bürgern kommuniziert“, so der Professor.
Lehrerverband: Impfpflicht würde Schulbetrieb erleichtern
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat sich grundsätzlich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen: Wenn Maßnahmen wie 3G, 2G oder Kontaktbeschränkungen nicht dazu führten, die Pandemie in den Griff zu bekommen, seien schärfere Regeln gefragt, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag).
„Wenn das alles nichts hilft und die allgemeine Impfquote nicht deutlich steigt, werden wir nach meiner persönlichen Überzeugung um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen, um endlich aus diesem Teufelskreis von Lockerungen und Lockdowns auszubrechen.“ Eine allgemeine Impfpflicht würde es deutlich erleichtern, den Schulbetrieb dauerhaft aufrecht zu erhalten, unterstrich der Pädagoge. Dabei sei es wichtig, dies gut zu erklären: Eine Impfpflicht dürfe nicht mit einem Impfzwang verwechselt werden. „Wer sich nicht impfen lassen will, wird nicht durch den Staat dazu gezwungen, sondern muss mit empfindlichen Strafen rechnen“, unterstrich Meidinger.
kna