Graffiti an einer der Kirchen der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul Witten, Sprockhövel, Wetter hat das Pastoralteam zu einer besonderen Aktion bewogen.
Witten/ Sprockhövel/Wetter – Graffiti an einer der Kirchen der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul Witten, Sprockhövel, Wetter hat das Pastoralteam zu einer besonderen Aktion bewogen. Die von einem Unbekannten auf einem Kirchportal hinterlassenen Zahlen von Missbrauchsfällen haben Haupt– und Ehrenamtliche aufgegriffen und an und vor weitere Gotteshäuser gesprüht.
Wenn ein Pfarrer, eine Gemeindereferentin und zwei Mitglieder des Pfarrgemeinderates zur Spraydose greifen und vor beziehungsweise auf Kirchentüren, –mauern oder –plätze in Witten, Sprockhövel und
Wetter sprühen, dann ist das ein ganz besonderes Statement zum Start in den Advent. „Seid wachsam!“ steht in großen Lettern zum Beispiel auf dem Boden vor dem Hauptportal der Kirche St. Januarius in Niedersprockhövel. (Um keine bleibenden Schäden zu verursachen, ist es Sprühkreide – also abwaschbare Farbe). Genau dieser Ort, das Hauptportal der Kirche St. Januarius, hat das Pastoralteam der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul Witten, Sprockhövel, Wetter im Ennepe–Ruhr–Kreis zu ihrer Aktion zum Advent bewogen.
Opferzahlen an Kirchentür gesprayt
Die Zahlen 216.000 und 330.000 prangen seit Anfang Oktober auf der Kirchentür. Ein Unbekannter hat sie großflächig in metallgrauer Graffiti–Farbe aufgesprüht. Und das wohl mit Bedacht. Denn die Zahlen entsprechen exakt den Angaben eines Untersuchungsberichts über das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Frankreichs.Demnach sei von geschätzt 216.000 Menschen auszugehen, die Opfer einer solchen, durch Geistliche und andere kirchliche Mitarbeiter verübten Straftat geworden sind. Die Zahl liegt laut Untersuchungsbericht sogar bei bis zu 330.000 Opfern, werden die Handlungen hinzugerechnet, die im Umfeld der Kirche geschehen sind. Zum Beispiel von Tätern in katholischen Einrichtungen oder Jugendorganisationen.
„Diese Zahlen sind wie der weitere Stein zu einem Schreckensmosaik, das uns als katholischer Kirche in Deutschland seit über elf Jahren vor Augen steht“, sagt Pfarrer Holger Schmitz. Er bezieht sich dabei auf den 28. Januar 2010, als der Jesuitenpater Klaus Mertens an die Öffentlichkeit ging und erstmals über Missbrauchsfälle am Berliner Canisiuskolleg in den 1970er– und 1980er–Jahren berichtete. Die so genannte MHG–Studie, die von einem Forschungsverbund universitärer Institute zwischen 2014 und 2018 erstellt wurde, hat für die Bistümer in Deutschland 3677 Fälle ermittelt, in denen Minderjährige Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind.
„Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher ausfallen“, sagt Pfarrer Holger Schmitz. „Wenn wir bedenken, dass hinter jeder dieser Zahlen ein persönliches Schicksal steht und widerfahrenes Leid, dann macht das kleinlaut und es beschämt uns. Zugleich bilden diese Umstände einen klaren Appell zur Umsicht und nicht zuletzt zur Wachsamkeit.“ Für ihn und andere Vertreter des Pastoralteams und des Pfarrgemeinderats, die nun auch auf weitere Kirchentüren und Kirchplätze in der Pfarrei die beiden Zahlen gesprüht haben, war der passende Titel für die Aktion mit „Seid wachsam!“ schnell gefunden. Zu eben dieser Wachsamkeit gebe der Advent als stille Zeit innerer Erinnerung den geistlichen Impuls. „Dafür stehen die Schrifttexte in unseren Gottesdiensten“, so Holger Schmitz: „,Wachet und betet allezeit‘ spricht Jesus bereits im Evangelium zum ersten Adventssonntag (Lukas 21,36). Dafür stehen adventliche Gestalten wie Johannes der Täufer. Als Rufer in der Wüste mahnt er die Menschen zur Umkehr und bereitet sie auf die Ankunft des Messias vor.“
Einladung zum Gebet für die betroffenen Menschen
Mit dem Aufruf an alle, wachsam zu sein, geht für das Pastoralteam der Pfarrei St. Peter und Paul die Einladung zum Gebet für die betroffenen Menschen einher. „Im Bewusstsein, das jedes Leben einmalig ist und wiederum zerbrechlich in seiner Einmaligkeit. Denn letztlich ist es sogar die Botschaft von Weihnachten, die uns genau dazu ermahnt, wie motiviert“, sagt Holger Schmitz. „Gott wird Mensch. Nicht wie ein Superheld, sondern wehrlos und schutzbedürftig als kleines Kind in der Krippe. Einen größeren Ausdruck für die Würde des Menschen kann es auf Erden nicht geben, als wenn der Himmel selbst sie bezeugt. Und eben darum ist und bleibt diese Würde unantastbar.“ Und so steht auf den Erklärzetteln, die neben den gesprayten Zahlen und Buchstaben auf und vor den Kirchen hängen, für alle sichtbar: „Unser Mitgefühlt gilt den vielen Opfern.“