Hollerich: Um gehört zu werden, muss Kirche Methode ändern

Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich sieht die katholische Kirche vor existenziellen Umbrüchen.
Paris/Rom – Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich sieht die katholische Kirche vor existenziellen Umbrüchen. "Wir haben eine Theologie, die in 20 oder 30 Jahren niemand mehr verstehen wird. Diese Zivilisation wird Vergangenheit sein", sagte Hollerich im Interview der französischen Zeitung "La Croix" (online Donnerstag) in Rom. Daher brauche es "eine neue Sprache, die auf dem Evangelium fußt". An der Entwicklung dieser neuen Sprache müsse sich jedoch die ganze Kirche beteiligen. Das sei der Sinn der von Papst Franziskus einberufenen Weltsynode zur Synodalität der Kirche. Hollerich (63), wie Franziskus Mitglied des Jesuitenordens, wurde vom Papst zum Generalsekretär der Synode ernannt. Er ist derzeit Erzbischof von Luxemburg und Präsident der EU-Bischofskommission Comece.

Kardinal Jean-Claude Hollerich (Foto: Erzbistum LuxemburgErzbistum Luxemburg)

Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich sieht die katholische Kirche vor existenziellen Umbrüchen. „Wir haben eine Theologie, die in 20 oder 30 Jahren niemand mehr verstehen wird. Diese Zivilisation wird Vergangenheit sein“, sagte Hollerich im Interview der französischen Zeitung „La Croix“ (online Donnerstag) in Rom. Daher brauche es „eine neue Sprache, die auf dem Evangelium fußt“. An der Entwicklung dieser neuen Sprache müsse sich jedoch die ganze Kirche beteiligen. Das sei der Sinn der von Papst Franziskus einberufenen Weltsynode zur Synodalität der Kirche. Hollerich (63), wie Franziskus Mitglied des Jesuitenordens, wurde vom Papst zum Generalsekretär der Synode ernannt. Er ist derzeit Erzbischof von Luxemburg und Präsident der EU-Bischofskommission Comece.

Europa wieder ein Missionsland geworden

Europa sei seit langem wieder ein Missionsland geworden, sagte der Kardinal. „Das Luxemburg meiner Jugend war ein bisschen wie Irland: mit großen Prozessionen, viel Volksfrömmigkeit. Als ich klein war, waren alle Kinder in der Kirche.“ Doch heute sehe er, „dass diese Vergangenheit nicht so glorreich war“. Schon damals habe es „viele Brüche und Heuchelei“ in der Gesellschaft gegeben. „Im Grunde haben die Menschen nicht mehr geglaubt als heute – auch wenn sie in die Kirche gegangen sind. Sie hatten eine Art kulturelle Sonntagspraxis, aber nicht inspiriert durch den Tod und die Auferstehung Jesu.“

Natürlich gebe es diese kulturelle Praxis des Katholizismus noch, sagte Hollerich; und zwar je nach Weltregion unterschiedlich stark. In Europa jedenfalls habe die Corona-Epidemie den Rückgang beschleunigt. In Luxemburg etwa gebe es ein Drittel weniger praktizierende Katholiken; und: „Ich bin sicher, sie werden nicht zurückkommen.“ Der Kardinal wörtlich: „Wir wissen jetzt, dass wir eine Minderheit sind und sein werden; und sollten uns darüber weder wundern noch es beklagen.“

Nicht mehr „Befehle von oben nach unten geben“

Die heutige Konsumkultur verspreche, menschliche Wünsche zu erfüllen, „tut es aber nicht“, betonte Hollerich. In Krisenmomenten erkennten Menschen dann, dass tief in ihnen eine Reihe von Fragen seien. Das Evangelium habe eine „außergewöhnlich frische Antwort auf diese Suche nach Sinn und Glück“. Die Botschaft sei noch immer aktuell; „aber die Boten erscheinen manchmal in Kostümen aus vergangenen Zeiten, was der Botschaft selbst nicht den besten Dienst erweist“, so der Kardinal. Daher müsse sich Kirche anpassen; „natürlich nicht, um die Botschaft selbst zu verändern, sondern damit sie verstanden werden kann“.

Als Generalberichterstatter der Weltsynode wisse er noch nicht, was er in seinem Bericht schreiben werde, sagte Hollerich. „Ich muss derjenige sein, der zuhört. Wenn ich viele Vorschläge mache, schreckt das Leute ab, die anderer Meinung sind. Es sind also die Leute, die meinen Kopf und die Seiten füllen müssen.“ Das sei Synode; „sie muss offen sein“. Man könne heute nicht mehr „Befehle von oben nach unten geben“. In allen Gesellschaftsbereichen, in Politik und Wirtschaft kommt es heute auf Vernetzung an. Diesem Zivilisationswandel müsse sich die Kirche „anpassen, wie sie es in ihrer ganzen Geschichte immer getan“ habe.

Hollerich: Kirche muss zuhören – nicht mit sich selbst reden

Kirche muss nach Ansicht des Luxemburger Kardinals Jean-Claude Hollerich stärker den Dialog mit Andersdenkenden suchen. „Wenn wir nicht in einer abgeschotteten Gesellschaft leben wollen, müssen wir uns gegenseitig die Geschichten anhören können“, sagte der Präsident der EU-Bischofskommission COMECE.  Man müsse versuchen, „andere zu verstehen, Brücken zur Gesellschaft zu bauen“. Hollerich fragt weiter: „Was würde es uns nützen, uns zu äußern, wenn uns nicht zugehört wird? Sprechen wir zu uns selbst, um uns zu versichern, dass wir auf der sicheren Seite sind? Ist es, um unsere eigenen Gläubigen zu beruhigen? Oder sprechen wir, um gehört zu werden?“

Um angehört zu werden, brauche es Demut, so Hollerich; „zu zeigen, dass wir von anderen lernen wollen“. Ein Beispiel: Ein Christ müsse „absolut gegen Abtreibung“ sein. Aber man müsse zugleich verstehen, dass man auch um die Würde der Frau gehe. „Der Diskurs, den wir in der Vergangenheit gegen Abtreibungsgesetze geführt haben, ist heute nicht mehr vernehmbar“, betonte der Kardinal. „Und wenn ein Diskurs nicht mehr trägt, sollte man nicht unnachgiebig sein, sondern nach anderen Wegen suchen.“ Es brauche also andere Maßnahmen, um das Leben zu verteidigen.

„Vielfalt politischer Formationen kommt auch der Gesellschaft sehr zugute“

Hollerich hält es für notwendig, „Dialoge und Freundschaften mit Entscheidungsträgern oder politischen Führern zu pflegen, die anders denken“. Auch wenn diese keine Christen seien, teile man mit vielen doch eine „ehrliche Sorge, zum Wohl der Gesellschaft zusammenzuarbeiten“. In diesem Zusammenhang kritisierte der Jesuit allerdings auch Tendenzen, Religion wie einen Supermarkt zu verwenden und sich nur bestimmte, genehme Inhalte auszusuchen.

Er kenne Politiker, „die sich überzeugte Christen nennen, gegen den Klimawandel kämpfen, aber im EU-Parlament für Abtreibung als ein Grundrecht stimmen und die Gewissensfreiheit von Ärzten einschränken“, sagte Hollerich. Man könne Christdemokrat, Sozialist oder Grüner sein, während man zugleich Christ sei. „Diese Vielfalt politischer Formationen kommt auch der Gesellschaft sehr zugute“, so Hollerich. Doch Politiker neigten oft dazu, ihre Religiosität zu verbergen und sie nur im privaten Bereich zu leben. „In diesem Fall ist es keine Religion mehr, sondern eine persönliche Überzeugung. Religion braucht einen öffentlichen Raum, um sich auszudrücken“, so der Luxemburger Kardinal.

kna