Katholische Coming-Out-Initiative bewegt Gemüter

Die Kampagne #OutInChurch queerer katholischer Menschen ist eine große konzertierte Aktion mit entsprechendem Medien-Echo. Doch wie geht es weiter, wenn der erste mediale Ansturm vorbei ist?
Die Kampagne #OutInChurch queerer katholischer Menschen ist eine große konzertierte Aktion mit entsprechendem Medien-Echo. Doch wie geht es weiter, wenn der erste mediale Ansturm vorbei ist?

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann äußerte sich. –Foto: FDP

Am Montag um kurz vor 9 Uhr geriet die Internetseite der Initiative „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ ins Stocken, kurze Zeit später brach sie ganz zusammen: Der Server war augenscheinlich überlastet und erholte sich auch im Lauf des Nachmittags nur mühsam. In den frühen Morgenstunden zeigten sich dort insgesamt 125 Menschen, die queer und katholisch sind und die sich gegen Diskriminierung aller Menschen in der Kirche aussprechen, die wie sie nicht der heterosexuellen Kirchennorm entsprechen.

Hastag in den Twittertrends

2020 arbeiteten für die katholische Kirche in Deutschland unter anderem rund 12.500 Priester, 4.426 Gemeindereferenten und 3.244 Pastoralreferenten, 1.362 haupt- und 12.700 nebenberufliche Kirchenmusiker. Die Caritas beschäftigte rund 700.000 hauptberufliche Mitarbeitende. 125 Menschen wirken da erst einmal wie eine kleine Zahl. Doch sie entwickeln eine enorme mediale Schlagkraft. Unbekannt bleibt derweil die Zahl jener, die ihre sexuelle Identität nicht in die Öffentlichkeit bringen möchten.

Die für Montagabend um 22.50 Uhr geplante ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ des vor allem als „Dopingjäger“ bekannten Investigativ-Journalisten Hajo Seppelt verlegte die ARD kurzerhand auf den Sendeplatz um 20.30 Uhr – parallel zum ZDF-Film über die Wannseekonferenz. Das mediale Interesse an der Kampagne scheint groß, die Sozialen Netzwerke sind voll von Reaktionen. Der Hashtag zum Film ist gar in den Twitter-Trends.

Verbände bekunden Solidariät mit Coming-Out-Initiative

Rund 30 katholische Verbände und Organisationen bekundeten auf der Seite von #OutInChurch Solidarität – darunter das Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ZdK, Katholische Frauengemeinschaft kfd und Katholischer Deutscher Frauenbund KDFB sowie der Bund der Deutschen Katholischen Jugend BDKJ. Für viele überraschender kam ein Statement von Hamburgs Erzbischof Stefan Heße: „Eine Kirche, in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann nach meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein“, sagte er. Die Erzdiözese zierte den Post mit einer kleinen Regenbogenfahne.

Für die Deutsche Bischofskonferenz trat der Aachener Bischof Helmut Dieser vor die Presse – auch der einzige Bischof, der laut ARD zum Interview in der TV-Dokumentation bereit war. „Ich habe dazugelernt, ja, das kann ich ganz freimütig sagen“, sagt er da. In seinem Statement vom Montag bekräftigte er, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert oder kriminalisiert werden dürfe.

Reichen solche Bekenntnisse für queere Menschen aus?

Aber reichen solche Bekenntnisse für queere Menschen aus – also für Personen, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht heterosexuellen Vorstellungen entsprechen? Manche Kommentare auf Twitter verdeutlichen, wie anachronistisch die Diskussion vielen von ihnen erscheint. Zudem: Die Verletzungen liegen oft tief. Im Film berichten sie von Identitätskrisen, Ausgrenzung, Suizidversuchen – und auch davon, dass sie ihr Coming-Out, also ihr öffentliches Sprechen über ihre sexuelle Identität, den Job kosten könne. Jede(r) Sechste bleibt unerkannt. Der Arbeitsvertrag für Mitarbeitende bei der Kirche schließt Loyalitätsverpflichtungen ein, nach denen die Glaubens- und Sittenlehre beachtet werden muss.

Wer also beispielsweise eine homosexuelle Partnerschaft eingeht, dem kann gekündigt werden – vor allem dann, wenn die Arbeit eine große Nähe zur Verkündigung der Kirche aufweist wie etwa bei Religionslehrkräften oder Menschen im pastoralen Dienst. Rechtssicherheit gibt es dabei wenig. Viel hängt von Ermessen und Auslegung der kirchlichen Arbeitsrichtlinien durch den jeweiligen Ortsbischof ab.

Bundesjustizminister Marco Buschmann verweist auf Gleichbehandlungsartikel im Grundgesetz

Mittlerweile werden jedoch auch konkrete politische Forderungen laut: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) etwa bekräftigt, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden dürfe: „Bei allem Respekt vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht insbesondere im verkündungsnahen Bereich – dem muss auch die Kirche als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland Rechnung tragen.“ Der Gleichbehandlungsartikel im Grundgesetz solle um ein entsprechendes Verbot ergänzt werden.

Auf dem katholischen Reformprozess Synodaler Weg werden aktuell auch Fragen zur Sexualmoral diskutiert. Schon im vergangenen Jahr sorgte eine bundesweite Aktion zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare für Aufmerksamkeit. An der offiziellen kirchlichen Lehre hat das nichts geändert. Dass die Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen so oft „verunmöglicht“ werde, bezeichnet Pfarrer Bernd Mönkebüscher von #OutInChurch als „moralische Bankrotterklärung der Kirche“. Sexueller Missbrauch hingegen werde oft verharmlost und vertuscht, beklagte er im Deutschlandfunk: „Ich krieg das nicht zusammen.“ Er befürchte zudem, das Anliegen der Initiative könne nach den ersten medialen Wellen langfristig von offizieller Seite einfach „weggeschwiegen“ werden.

Von Annika Schmitz (KNA)