Der frühere Regensburger Theologieprofessor Wolfgang Beinert (88) hält eine Entschuldigung von Benedikt XVI. bei Missbrauchsbetroffenen für „unbedingt notwendig“.
Augsburg– Der frühere Regensburger Theologieprofessor Wolfgang Beinert (88) hält eine Entschuldigung von Benedikt XVI. bei Missbrauchsbetroffenen für „unbedingt notwendig“. Dem emeritierten Papst bleibe nur übrig zu sagen: „Ja, ich habe einen Fehler begangen und bereue ihn bitterlich“, sagte Beinert der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag). „Anschließend müsste er ein Zeichen setzen – so er das noch kann.“ Beinert war Assistent von Joseph Ratzinger in Tübingen und Regensburg. Er zählt zu dessen Schülerkreis.
Beinert: Benedikt hat Dimension „überhaupt noch nicht begriffen“
Der Regensburger Theologe verwies darauf, dass Benedikt XVI. eine Aussage für das vergangene Woche veröffentlichte Münchner Missbrauchsgutachten inzwischen korrigiert habe. Es gebe aber noch weitere „erschütternde“ Aussagen in seinen Einlassungen. So habe der emeritierte Papst sinngemäß bemerkt, dass damals Missbrauchsfälle nicht so ernst genommen worden seien. „Das geht nicht“, kommentierte Beinert. „Denn in der Kirche waren sexuelle Vergehen immer eine schwere Sünde. Gerade Kindesmissbrauch war immer verpönt – und strafbar.“
Der Wissenschaftler fügte hinzu, er glaube, dass Ratzinger „die Dimension dessen, was da geschehen ist, überhaupt noch nicht begriffen“ habe. Nun bestehe die Gefahr, „dass sein gesamtes Lebenswerk dadurch zerstört wird“.
Der Sprecher der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), Joseph Ratzinger gebe immer nur das zu, was nicht mehr geleugnet werden könne. Statt Verantwortung zu übernehmen, schiebe der frühere Papst die Schuld auf andere. „Die Opfer haben ihn nie interessiert, in München ebenso wie bei den Legionären Christi.“ Katsch forderte „eine internationale Untersuchung der Tausenden Missbrauchsfälle aus aller Welt“, die im Vatikan aus der Weltkirche und bei den dort angesiedelten weltweit tätigen Ordensgemeinschaften „gehortet“ würden.
Maria 2.0: Benedikt XVI. soll auf Titel und Insignien verzichten
Die katholische Reformgruppe Maria 2.0 fordert den emeritierten Papst Benedikt XVI. aufgefordert, auf Titel und Insignien zu verzichten. Damit solle er Konsequenzen aus den Ergebnissen des Münchner Missbrauchsgutachten ziehen, erklärte die Gruppierung. Das Gutachten erschüttere die Glaubwürdigkeit des Klerus in ihren Grundfesten. Es dürfe für die Erzdiözese, aber auch für die katholische Kirche insgesamt nicht ohne Folgen bleiben.
In seiner Stellungnahme für die Anwälte zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen habe Benedikt XVI./Joseph Ratzinger sexuellen Missbrauch Minderjähriger „auf geradezu dreiste Weise“ verharmlost, so die Gruppierung. „Unverzeihlich sei, was in seiner Amtszeit als Erzbischof (nicht) geschah.“ Mit seiner „unerträglichen Umdeutung von missbräuchlichen Handlungen“ vergreife er sich an den Betroffenen und mache sie erneut zu Opfern.
Gruppe erwarte tatsächliche Verantwortungsübernahme
Von allen anderen Verantwortungsträger des Erzbistums, denen Fehlverhalten in Bezug auf sexuellen Missbrauch nachgewiesen worden sei, erwartet Maria 2.0 gleichfalls persönliche Konsequenzen. „Wir sind der Meinung, dass keine dieser Personen in ihrer derzeitigen Position verbleiben kann.“ Es sei deshalb geboten, dass alle auf ihre Ämter, Funktionen und Ehrentitel sowie die damit verbundenen Einkünfte verzichteten.
Die Gruppe erwarte sich eine tatsächliche Verantwortungsübernahme und nicht eine „scheinheilige Verantwortungsdelegation“. Nicht nur im Münchner Erzbistum, sondern überall leugneten immer noch Verantwortungsträger ihre Mitschuld an den Missbrauchstaten. Statt dessen versuchten sie, die Institution Kirche zu schützen und ihre eigene Position zu retten und hielten so an der Unmenschlichkeit des Systems der Amtskirche fest. Der bloße Austausch des Personals genügt Maria 2.0 nicht. Dadurch würde nur das System bestätigt. Deshalb verlangt die Gruppe eine „sofortige Reform der patriarchalen, undemokratischen und intransparenten kirchlichen Machtstrukturen“.
Wir sind Kirche“ fordert Schuldeingeständnis von Benedikt XVI.
Die Initiative „Wir sind Kirche“ erwartet weiter ein persönliches Schuldeingeständnis des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Seine Korrektur einer wesentlichen Aussage zu dem Münchner Missbrauchsgutachten am Montag reiche nicht, auch nicht sein Bekunden von Scham und Schmerz über das Leid der Betroffenen, erklärte die Gruppe in München. Sie bezeichnete den Vorgang als „höchst peinlich“; das frühere Kirchenoberhaupt korrigiere sich in einem leicht nachprüfbaren Punkt.
Die Initiative erinnerte an die Aufnahme von Priester Peter H. 1980 in München, als Joseph Ratzinger dort Erzbischof war. Durch diese von ihm oder aber in seinem Namen vom Generalvikar getroffene Entscheidung sei vielen Betroffenen großes Leid zugestoßen. „Das hätte durch ihn verhindert werden können. Dieser Gesamtverantwortung muss er sich stellen.“ H. missbrauchte in mehreren Pfarrgemeinden in Oberbayern als Seelsorger weitere Kinder.
Zentralkomitee der Katholiken wirft Benedikt „Salamitaktik“ vor
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wirft dem emeritierten Papst Benedikt XVI. eine „Salamitaktik“ bei der Korrektur seiner Aussagen zum Münchner Missbrauchsgutachten vor. „Es ist einfach nicht glücklich, dass er entgegen seiner anderslautenden schriftlichen Aussage lediglich etwas eingesteht, was nicht mehr zu verleugnen ist“, sagte die Präsidentin des ZdK, Irme Stetter-Karp, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Dies sei „noch immer kein Schuldeingeständnis“.
Benedikt habe sich mehrfach falsch verhalten und die Betroffenen des sexuellen Missbrauchs nicht im Blick gehabt, so Stetter-Karp. Sie habe zwar Verständnis für das hohe Alter des früheren Papstes, aber er habe anderseits eine sehr detaillierte Stellungnahme abgegeben.
Der Forderung, Benedikt möge seinen päpstlichen Namen ablegen und sich wieder Ratzinger nennen, erteilte die ZdK-Präsidentin eine Absage. „Der Titel steht für mich nicht im Mittelpunkt. Mir ist es wichtiger, dass der emeritierte Papst Benedikt persönlich und moralisch Verantwortung übernimmt.“