Unversorgte Wunden, falsche Medikamente und Gewalt: Immer wieder schrecken Meldungen über katastrophale Zustände in Pflegeheimen auf. Wie gerade in Bayern.
Bonn – Nach der Schließung eines Pflegeheimes in Augsburg hat Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Sonntag eine Offensive zum besseren Schutz der Bewohner solcher Einrichtungen angekündigt. „Die Menschen in Bayern müssen darauf vertrauen können, dass die Pflege und Betreuung in allen bayerischen Pflegeheimen gut und angemessen gewährleistet wird“, betonte er in München. Die Augsburger Einrichtung hatte schon seit rund einem Jahr wegen immer wieder aufgetretener Pflegemängel unter Kontrolle der Heimaufsicht gestanden.
Holetschek schlägt unter anderem eine „Pflege-SOS-Anlaufstelle“ bei Missständen vor – also eine bayernweit gültige Telefonnummer und Kontaktstelle, bei der Pflegebedürftige und -kräfte sowie Angehörige Beschwerden anonym vortragen können. Der Minister will außerdem ein Gutachten in Auftrag geben, um die landesrechtlichen Kontrollen zu verbessern.
Einer, der schon seit Jahrzehnten solche Missstände zur Sprache bringt, ist Claus Fussek. Der 69-Jährige nimmt auch kurz nach Eintritt in den Ruhestand kein Blatt vor den Mund: „In Sachen Missstände in Pflegeheimen hat sich leider vielerorts nicht viel geändert“, sagte er kürzlich der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Fussek sieht systemische Gründe: Bei den Pflegekräften herrsche vielfach eine Mischung aus Angst und Schweigen. „Sie haben angeblich Angst um den Arbeitsplatz, Angst vor Mobbing, wenn sie Missstände öffentlich anprangern.“ Auch die alten Menschen in den Pflegeheimen könnten sich kaum wehren. Sie hätten Angst vor Nachteilen, sprächen nur selten mit einer Stimme. „Das ist paradox und der Gau in der Pflege“, sagt Fussek, der seit der Aufdeckung des „Münchner Pflegeskandals“ 1997 ein gefragter Experte ist. Leider bestehe nach wie vor ein „perverses System, in dem man mit schlechter Pflege legitim Milliarden verdienen darf“.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sieht „ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit“, in dem niemand richtig durchgreifen könne. Die Heimaufsichten seien viel zu schwach besetzt, sagte er am Sonntag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Auch die Pflegekassen, die ja nur einen Teil der Pflegekosten zahlen, sähen sich nicht in der Rolle, die Qualität der Heime zu überwachen. Wegen des Mangels an Pflegeheimplätzen stelle sich zudem immer die Frage, wo die Bewohner unterkommen könnten, falls eine Einrichtung geschlossen werde. „Angesichts fehlender Alternativen schließt mancher lieber die Augen und lässt so ein Heim weiter arbeiten“, so der Patientenschützer.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hatte Mitte Januar auch Versäumnisse vieler Bundesländer beklagt. In lediglich 6 von 16 Ländern erhielten Verbraucher Informationen über den Personalschlüssel oder schwerwiegende Mängel in Einrichtungen, hieß es. Und das, obwohl manche Länder dazu gesetzlich verpflichtet seien.
Allgemein zugänglich sind die Informationen laut Stiftung lediglich in Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern. Als positives Beispiel nennt die Stiftung Hamburg: Die Stadt stelle im Internet detaillierte Angaben über den Personaleinsatz in Pflegeheimen und vorübergehende Aufnahmestopps bereit. Um die Situation zu verbessern, rät die Stiftung allen Bundesländern, relevante Daten zur Pflegequalität zentral im Internet zu veröffentlichen.
Zwar gibt es bundesweit auch den sogenannten Pflege-TÜV: Heime sind danach verpflichtet, wichtige Daten im Internet zu veröffentlichen. Doch während der Corona-Krise war dieses Instrument zeitweise ausgesetzt. Und Fussek warnt: Die Dokumente der Häuser seien oftmals geschönt. Sein Tipp bei der Heimsuche: „Man muss das Gefühl haben, es ist dort ein angstfreies Arbeitsklima, das Personal ist freundlich.“ Auch die fachärztliche Versorgung sei ein wichtiger Gesichtspunkt: „Kommt ein Zahnarzt, kommt ein Geriater, und ist dort gelebte Hospizkultur, kann man sicher sein, wenn man am Ende des Lebens ist, dass da eine würdevolle palliative Versorgung garantiert ist?“