Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk per Dekret als unabhängige Staaten anerkannt.
Moskau – Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk per Dekret als unabhängige Staaten anerkannt. In einer langen TV-Ansprache führte er als Argument für den Schritt unter anderem eine angebliche Verfolgung von orthodoxen Christen des Moskauer Patriarchats in der Ukraine an. Beide Regionen gehören zur Ukraine, sind aber seit 2014 unter der Kontrolle prorussischer Separatisten.
Putin: „Tragödie der Kirchenspaltung“
„In Kiew bereiten sie weiter Gewaltakte gegen die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats vor“, so Putin. Die ukrainische Staatsführung habe die „Tragödie der Kirchenspaltung“ zynisch zu einem Instrument ihrer Staatspolitik gemacht. In das Parlament in Kiew seinen neue Gesetzentwürfe eingebracht worden, die sich gegen den Klerus und Millionen Mitglieder der Kirche des Moskauer Patriarchats richteten. Kiew reagiere nicht auf Forderungen, Gesetze aufzuheben, die die Rechte der Gläubigen verletzten.
Rund 60 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) „Orthodoxen Kirche der Ukraine“.
Erfolgloses Vereinigungskonzil
Diese entstand Ende 2018 aus dem 1992 gegründeten Kiewer Patriarchat und der 1921 ins Leben gerufenen „Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche“. In dem Land war angesichts des Krieges in der Ostukraine zwischen von Moskau unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen der Ruf nach einer von Russland unabhängigen orthodoxen Kirche lauter geworden.
Das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, hatte erfolglos versucht, mit einem sogenannten Vereinigungskonzil im Dezember 2018 den Zusammenschluss aller drei Kirchen zu erreichen. Die neue orthodoxe Kirche der Ukraine erkannte er Anfang Januar 2019 als „autokephal“ (unabhängig) an und stellte sie so allen 14 bestehenden orthodoxen Landeskirchen gleich.
Ablehnung der Unabhängigkeit
Die russisch-orthodoxe Kirche betrachtet die Ukraine als ihr Stammland und lehnt die kirchliche Unabhängigkeit (Autokephalie) für das südliche Nachbarland strikt ab. Auch die meisten anderen orthodoxen Landeskirchen erkannten die neue eigenständige ukrainische Kirche anders als Bartholomaios I. bislang nicht offiziell an.
Die russisch-orthodoxe Kirche betrachtet die Ukraine als ihr Stammland und lehnt die kirchliche Unabhängigkeit für das südliche Nachbarland strikt ab. Die moskautreue Kirche verfügt in der Ukraine über deutlich mehr Gemeinden als die neue Kirche. Sie räumte aber den Verlust von rund 100 Pfarreien an die orthodoxe Kirche der Ukraine ein. Für einen Wechsel einer Kirchengemeinde ist laut ukrainischem Recht jeweils die Zustimmung von zwei Dritteln ihrer Gläubigen nötig.
100 Pfarreien verloren
Die moskautreue Kirche verfügt in der Ukraine über deutlich mehr Gemeinden als die neue Kirche. Sie räumte aber den Verlust von rund 100 Pfarreien an die orthodoxe Kirche der Ukraine ein. Die „Ukrainisch Orthodoxe Kirche“ des Moskauer Patriarchats betont einerseits ihre traditionelle Einheit mit der russischen Orthodoxie; andererseits genießt sie eine weitreichende Autonomie. Sie gründet eigenständig Eparchien (Diözesen), wählt selbst ihre Bischöfe und ist finanziell unabhängig von Moskau.
Im Urteil der Bevölkerung schneidet die neue Kirche am besten von allen großen Konfessionen ab. 60 Prozent der erwachsenen Ukrainer sehen sie laut einer im Februar 2020 durchgeführten Meinungsumfrage positiv. Von der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats hatten demnach nur 26 Prozent eine gute Meinung.
Stichwort: Orthodoxe Kirche
Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen („autokephalen“) Landeskirchen. „Orthodox“ ist griechisch und bedeutet „rechtgläubig“. Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (81).
Die Vorrechte Konstantinopels wie die Gewährung der Eigenständigkeit an Landeskirchen sind zum Teil umstritten. Der Patriarch hat – anders als der Papst in der katholischen Kirche – keine oberste Rechtsgewalt. Über viele Fragen müssen die eigenständigen orthodoxen Landeskirchen gemeinsam entscheiden. Dies sind: Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem als Mitglieder der spätantiken „Pentarchie“ (Fünfherrschaft, zusammen mit Rom), zudem Russland, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Georgien, Zypern, Griechenland, Tschechien und die Slowakei, Albanien, Polen und die Ukraine.
Drittgrößte christliche Konfession
Die weltweit auf mehr als 220 Millionen geschätzten orthodoxen Christen bilden nach Katholiken und Protestanten die drittgrößte christliche Konfession. Von ihnen gehören die weitaus meisten, bis zu 150 Millionen, zum Moskauer Patriarchat.
Die Anerkennung der Ende 2018 gegründeten eigenständigen „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ durch Bartholomaios I. im Januar 2019 ist in der Weltorthodoxie sehr umstritten. Die russisch-orthodoxe Kirche hat aus Protest gegen den Schritt des Ökumenischen Patriarchen die sogenannte eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel beendet. Moskau brach auch mit dem Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Erzbischof Hieronymos, weil dieser die neue ukrainische Kirche ebenfalls anerkannte.
Eigene Kirchenhierarchie in Afrika
Auch der griechisch-orthodoxe Patriarch von Alexandrien und ganz Afrika, Theodoros II., sowie Zypern gingen die eucharistische Gemeinschaft mit der neuen ukrainische Kirche ein. Andere orthodoxe Landeskirchen halten weiter zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und verweigern der mit ihr konkurrierenden eigenständigen Kirche der Ukraine die Anerkennung. Zuletzt errichtete Moskau als Gegenzug zum Patriarchat von Alexandrien eine eigene Kirchenhierarchie auf dessen Territorium, in Afrika.
Mit der westlichen Kirche verbinden die Orthodoxie die sieben „ökumenischen“ Konzilien des ersten Jahrtausends; das letzte fand 787 statt. Als Schlüsseljahr für die schrittweise Spaltung der Christenheit in eine römisch-katholische und eine orthodoxe Kirche gilt das Jahr 1054. Damals exkommunizierte der römische Gesandte des Papstes den Patriarchen von Konstantinopel. Patriarch Kerullarios ließ daraufhin den Gesandten von einer Synode verdammen. Die gegenseitigen Bannsprüche wurden erst 1965 offiziell aufgehoben.