Unicef-Exekutivdirektorin Catherine Russell hat sich alarmiert über Angriffe auf Kinder durch das russische Militär geäußert.
New York/Den Haag – Unicef-Exekutivdirektorin Catherine Russell hat sich alarmiert über Angriffe auf Kinder durch das russische Militär geäußert. Sie erhalte Berichte, nach denen Schulen, Waisenhäuser und Kliniken unter Beschuss kämen, erklärte Russell am Montag in New York. Der Einsatz von Sprengwaffen in Wohngebieten und nicht detonierte Munition stellten „reale und akute Gefahren“ für Kinder in der Ukraine dar.
„Die Lage der Kinder im Konflikt in der Ukraine wird von Minute zu Minute schlimmer“, sagte Russell. Sie rief zu einer Unterbrechung der Kampfhandlungen auf, damit humanitäre Hilfe zu den Menschen gelangen könne und Familien die Möglichkeit hätten, Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung zu beschaffen oder sich in Sicherheit zu bringen.
Kinder seien getötet und verwundet worden. Sie würden zudem „tief traumatisiert von der Gewalt um sie herum“, sagte Russell. Die Unicef-Leiterin forderte die Kriegsparteien auf, Zivilisten und nichtmilitärische Gebäude zu verschonen sowie „sämtlichen gesetzlichen und moralischen Verpflichtungen zu gehorchen, Kinder aus der Schusslinie herauszuhalten“.
Internationales Strafgericht kündigt Ermittlungen in Ukraine an
Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Karim Ahmad Khan, will Ermittlungen wegen potenzieller Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine aufnehmen. Dies solle „so schnell wie möglich“ geschehen, erklärte Khan am Montagabend in Den Haag. Er habe sein Team angewiesen, Wege zur Beweissicherung zu prüfen.
Zwar gehört die Ukraine nicht zu den Mitgliedstaaten des Gerichtshofs; das Land machte aber von der Möglichkeit Gebrauch, dessen Zuständigkeit ausdrücklich anzuerkennen, und zwar in Zusammenhang mit den Euromaidan-Protesten 2013/2014 und der Krim-Annexion durch Russland ab Februar 2014. Die zweite Zuständigkeitserklärung war nicht zeitlich befristet.
Mit Blick auf den Ukraine-Konflikt von 2014 äußerte sich Khan überzeugt, dass es genügend Anhaltspunkte gebe für den Verdacht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Angesichts der Eskalation in den vergangenen Tagen wolle er in seine Untersuchungen auch mutmaßliche Verbrechen aller Beteiligten in jedem Teil der Ukraine einbeziehen. Der nächste Schritt sei nun, von der Vorverfahrenskammer die Genehmigung für ein offizielles Untersuchungsverfahren zu erhalten, so der Chefankläger.
Bereits Freitag hatte Khan den kriegführenden Parteien in der Ukraine mit möglichen Verfahren gedroht. Zugleich betonte er, der Tatbestand eines „Verbrechens der Aggression“ könne von seinem Gericht nicht verfolgt werden, da ebenso wie die Ukraine auch Russland kein Vertragsstaat sei. „Verbrechen der Aggression“ bedeutet, dass Personen mit hoher Befehlsgewalt, die eine Angriffshandlung in offensichtlichem Widerspruch zum Gewaltverbot der UN-Charta veranlassen, völkerstrafrechtlich verantwortlich sind.
Orthodoxe Kirche an Putin: Bruderkrieg sofort beenden
Die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats hat unterdessen mit unerwartet deutlichen Worten von Kreml-Chef Wladimir Putin einen sofortigen Stopp des „Bruderkriegs“ gefordert. In einer am Montag veröffentlichten Erklärung bekräftigte die Kirchenleitung, der Heilige Synod, die „staatliche Souveränität und territoriale Integrität“ der Ukraine und appellierte an den Moskauer Patriarchen Kyrill I., von der Staatsführung die unverzügliche Einstellung der Feindseligkeiten einzufordern. Kyrill hat bisher zwar mit allgemeinen Worten das „Unglück“ in der Ukraine bedauert, aber nicht die Worte „Angriff“ oder „Krieg“ gebraucht.
„Mit Trauer und Schmerz erleben wir den Krieg, der in unser ukrainisches Heimatland gekommen ist“, heißt es dagegen in der Erklärung der russlandfreundlichen UOK. Die Kämpfe dauerten fast überall in der Ukraine an, „Krieger und Zivilisten sterben“, die Zahl der Geflüchteten steige. „Die generelle Alarmbereitschaft für Atomwaffen stellt die zukünftige Existenz der Menschheit und der Welt insgesamt in Frage“, mahnt die Kirchenleitung mit Blick auf eine Ankündigung Putins.
Inständig appelliert sie an den Moskauer Patriarchen: „Wir bitten Sie, unsere Gebete für das leidgeprüfte ukrainische Volk zu verstärken, Ihr hochpriesterliches Wort zu sprechen, damit das brudermörderische Blutvergießen auf ukrainischem Boden aufhört, und die Führung der Russischen Föderation aufzufordern, die Feindseligkeiten, die sich bereits zu einem Weltkrieg auszuweiten drohen, unverzüglich einzustellen.“
Ebenso wendet sich die Kirchenleitung an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Kreml-Chef Putin: „Im Namen der Millionengemeinde der Ukrainischen Orthodoxen Kirche bitten wir Sie, alles zu tun, um der Sünde der bewaffneten Konfrontation zwischen unseren beiden brüderlichen Völkern ein Ende zu setzen und den Verhandlungsprozess einzuleiten“, so der Appell. „Wenn das Blutvergießen unvermindert anhält, könnte die Kluft zwischen unseren Völkern für immer bestehen bleiben.“
Weiter versichert die UOK die Menschen in der Ukraine ihrer Unterstützung. Ihre Kirchen und Klöster leisteten Hilfe für Flüchtlinge und andere Notleidende des Krieges und öffneten ihre Türen rund um die Uhr für Schutzsuchende. Sie äußert die Hoffnung, „dass die Vernunft siegt und dieser Krieg bald beendet wird“. Die Menschen sollten einander helfen und sich nicht zu Feindseligkeiten provozieren lassen. „Wir beten, dass der Herr die Regierenden mit dem Licht seiner Gnade erleuchtet.“ Dann werde in naher Zukunft „in unserem gesegneten ukrainischen Land wieder der Frieden Gottes herrschen!“, schließen die Kirchenführer.
Rund 60 Prozent der mehr als 41 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der zum Moskauer Patriarchat gehörenden, „autonomen“ UOK unter Leitung von Metropolit Onufri und der Ende 2018 gegründeten eigenständigen „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ (OKU) unter Führung ihres Metropoliten Epiphanius, die zum Patriarchat Konstantinopel gehört und vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt wird. In der aktuellen Kriegssituation haben sich beide Kirchen „patriotisch“ im Sinne der Ukraine geäußert. Dennoch bewerten Beobachter den deutlichen Appell der traditionell russlandfreundlichen UOK an Putin und Kyrill I. als überraschendes Signal.