Overbeck: Kirche „in der Rolle des barmherzigen Samariters“

Für den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck gehören „Glaube und Gemeinschaft in der Kirche zusammengehören.“ Als Teil dieser solidarischen Gemeinschaft sieht er auch die Zahlung der Kirchensteuer.
Für den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck gehören „Glaube und Gemeinschaft in der Kirche zusammengehören.“ Als Teil dieser solidarischen Gemeinschaft sieht er auch die Zahlung der Kirchensteuer.

–Foto: Thomas Emons

Für den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck gehören „Glaube und Gemeinschaft in der Kirche zusammengehören.“ Als Teil dieser solidarischen Gemeinschaft sieht er auch die Zahlung der Kirchensteuer. „Ganz ohne organisatorische Strukturen, in denen auch Macht zugewiesen, aber auch kontrolliert wird, und ganz ohne finanzielle Mittel, könnten wir als Kirche zum Beispiel in der Caritas nicht das leisten, was wir leisten!“ Dies sagte er am Dienstagabend  bei einer Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg, die Frage diskutiert, ob wir „die institutionalisierte Kirche brauchen oder wie Christsein in Zukunft gehen soll.“

„Wir wissen, dass sich heute viele Menschen spirituell obdachlos fühlen, aber wir wollen uns heute Abend nicht im Tal der Tränen suhlen“, hatte Moderator Oboth die Richtung für das Mitdenken und Mitreden auf dem Podium und im Publikum vor. Auf dem Podium standen dem Ruhrbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, die Tagesmutter, Psychologin und 2021 aus der katholischen Kirche ausgetretene Maria-2.0-Gründerin, Andrea Voß-Frick, die Dogmatikerin Prof. Dr. Johanna Rahner und der evangelische Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack als intellektuelle Sparringspartner zur Seite.

Auf dem Podium war man sich einig, dass der kirchliche Wir-Begriff angesichts von Kirchenaustrittszahlen auf Rekordniveau „heute fließend“ sei. In Zeiten der offenbar gewordenen Missbrauchsfälle im Priesteramt und der nicht nur damit einhergehenden Infragestellung der kirchlichen Hierarchie bis hin zum römischen Primat, machte das Podiumsgespräch klar, „dass heute auch Menschen, die sich, trotz ihres Kirchenaustrittes als gläubige Christen sehen, aber die katholische Kirche in ihrer heutigen Form als Kirchensteuerzahler nicht mehr mitfinanzieren wollen“, aus der seelsorgerischen Perspektive von der Kirche weiterhin als Teil des katholischen „Wir“ angesehen werden müssen.

Overbeck: „Ich halte den Laden zusammen und sorge gemeinsam mit anderen dafür, dass dessen Regale nicht leer sind.“

Neben der Caritas bezeichnete der Essener Bischof auch die Themen: Glauben, Spiritualität und Ethik, als „konzentrische Kreise“, in denen die Kirche im Geist der Frohen Botschaft und weit über ihre schrumpfende Mitgliedschaft in eine zunehmend säkulare, pluralistische und multikulturelle Gesellschaft hineinwirken könne.  In diesem Zusammenhang sieht Overbeck die Kirche „in der Rolle des barmherzigen Samariters“, wenn sie sich im Geist der christlichen Nächstenliebe, um die sozial benachteiligten Menschen kümmert, „die in unserer Gesellschaft unter die Räuber gefallen sind.“

Seine eigene Rolle als Bischof definierte Overbeck so: „Ich halte den Laden zusammen und sorge gemeinsam mit anderen dafür, dass dessen Regale nicht leer sind.“ Dogmatikerin Rahner pflichte dem Bischof bei: „Auch dafür brauchen wir eine Institution Kirche, die von Menschen getragen und gestaltet wird.“

Voß-Frick: Caritas als den entscheidenden Ausdruck einer christlichen Praxis

Die aus der Kirche ausgetretene Voß-Frick machte deutlich, dass ihr Kirchenaustritt „nicht aus einem Glaubensverlust, sondern aus einem geschärften Glaubensbewusstsein“ und der Einsicht erwachsen sei, „dass die Kirche im Sinne Jesu zu einem menschlichen Ort werden muss, in dem Menschen aufrecht gehen und ihren Glauben als Teil einer freien Gesellschaft frei leben können müssen.“

Voß-Frick ist davon überzeugt, dass sich die katholische Kirche nur von unten und nicht von oben reformieren lässt. Dabei sieht sie die Caritas als den entscheidenden Ausdruck einer christlichen Praxis, „in der sich Menschen begegnen und helfen.“ Auch nach ihrem Kirchenaustritt, so Voß-Frick, sei sie Teil einer christlichen Gemeinschaft, zu der auch ein katholischer Priester gehöre, und die sich regelmäßig zum Gebet treffe und sich sozial engagiere.

Dogmatikerin Rahner plädiert für Demokratisierung der Kirche

Die Dogmatikerin Johanna Rahner, plädierte, auch unter Verweis auf urchristliche Traditionen, für eine Demokratisierung der Kirche, „weil sie nicht hinter den Standards ihrer weltlichen Gesprächspartner in unserer freiheitlichen Demokratie zurückfallen darf.“ Als Vorbild empfahl sie der „immer noch in Form einer absolutistischen Monarchie organisierten römisch-katholischen Kirche“ die Gewaltenteilung der Bundesrepublik Deutschland. Auch für die katholische Kirche wünscht sie sich „ein Grundgesetz und ein Bundesverfassungsgericht“, dass als Normenkontrollinstanz die Machtausübung der kirchlichen Exekutive und Legislative überwachen könne.

Mit dem evangelischen Religionssoziologen Pollack stritt sich Rahner vor allem über die Frage, ob die Glaubenslehre und die Glaubenspraxis besser in einer demokratisch oder in einer hierarchisch verfassten Kirche bewahrt und gelebt werden könne. Pollack, der sich dagegen wehrte, in eine konservative und fundamentalistische Ecke gestellt zu werden, warnte davor: „den einzelnen Menschen zu überschätzen und die Institution Kirche mit ihrer Hierarchie zu unterschätzen.“

Anders, als Rahner, die dabei auf die Urkirche verwies, glaubt Pollack nicht, dass Glaubensinhalte dem demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozess unterworfen werden können und sollten. Unter anderem mit dem Hinweis auf die kommunistische und von Staats wegen atheistischen DDR machte der Religionssoziologe deutlich, „dass sich die Institution der Kirche auch immer wieder als Ort der Freiheit und als ein Raum bewährt hat, in dem Menschen gute kulturelle, soziale und religiöse Erfahrungen machen können.

Ungeduld an der Kirchenbasis

Die Diskussionsbeiträge, die aus dem Publikum kamen, zeigten die Ungeduld einer Kirchenbasis, die angesichts bischöflicher Minderheitsvoten in der Versammlung des Synodalen Weges, „dem synodalen Braten nicht traut“ oder zumindest rasche und konkrete Strukturreformen erwartet. Aber auch der Wunsch nach aktiveren Gemeindemitgliedern und einer verstärkten Diskussion über christliche Glaubensinhalte wurde  ebenso artikuliert, wie eine dahingehende Reform des Kirchenrechtes, die die immer noch geltende Gleichsetzung zwischen Kirchenaustritt und Glaubensabfall abschaffe.

Letzteres räumte der Ruhrbischof freimütig ein. Er stellte aber auch fest: „Ganz ohne ein kirchliches Lehramt geht es nicht!“

Thomas Emons