Buchmesse: Lichtblicke in verdunkelter Gegenwart

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine forderte eine Antwort der Frankfurter Buchmesse. Ihr Direktor sagte, man wolle den Stimmen der Wahrheit Gehör verschaffen, „und das ausnahmslos, an jedem Tag dieser Messe“.
Frankfurt – Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan beschrieb die Stimmung auf der Frankfurter Buchmesse 2022 exakt: Er habe ein ziemlich unheimliches Gefühl, hier zu sein und zugleich die schrecklichen Nachrichten aus der Heimat zu verfolgen, sagte der 48-jährige diesjährige Friedenspreisträger bei einer Pressekonferenz in Frankfurt. Es sei ihm unmöglich, "das Leben in den Messehallen zu genießen".

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan auf der Frankfurter Buchmesse 2022. –Foto: Domenic Driessen/Frankfurter Buchmesse

Der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan beschrieb die Stimmung auf der Frankfurter Buchmesse 2022 exakt: Er habe ein ziemlich unheimliches Gefühl, hier zu sein und zugleich die schrecklichen Nachrichten aus der Heimat zu verfolgen, sagte der 48-jährige diesjährige Friedenspreisträger bei einer Pressekonferenz in Frankfurt. Es sei ihm unmöglich, „das Leben in den Messehallen zu genießen“.

Diese Unmöglichkeit, die sonst so inspirierende Literaturwelt tiefenentspannt auf sich wirken zu lassen, dürften viele Messebesucher, Journalisten, Verleger und Autoren empfunden haben. Der Ukraine-Krieg überschattete und trübte die weltgrößte Bücherschau. Und viele Reden und Podien.

Nie zuvor hatte etwa ein deutsches Staatsoberhaupt bei einer Buchmessen-Eröffnung vor „verlogenen Büchern“ gewarnt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aber sagte: „Bücher befördern nicht immer nur das Gute.“ Es gebe zum Bösen, zur Feindschaft, zur Unmenschlichkeit verführende Schriften. Er wünsche sich, dass die 74. Buchmesse „ein Lichtblick in verdunkelter Gegenwart“ sei.

Das wollte sie auch selbst sein. Buchmesse-Direktor Juergen Boos sagte, man wolle in Frankfurt den Stimmen der Wahrheit Gehör verschaffen, „und das ausnahmslos, an jedem Tag dieser Messe“. Wenige Minuten nach Boos sprach dann der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft bei der Buchmesse. „Wissen ist die Antwort“, sagte Selenskyj, der wie üblich im olivgrünen T-Shirt im grün-ledernen Präsidentensessel saß. Mangel an Wissen in der Bevölkerung und Lügen seien die Elemente der Politik terroristischer Staaten. Bücher und Reportagen – das seien die Antworten. Nicht ohne Grund fehlten diesmal zwei Länder bei der Buchmesse: Russland und Iran. Statt Kultur zu exportieren, exportierten sie den Tod, sagte der Präsident der Ukraine.

Das unter dem Raketenterror Russlands leidende Land bildete zwar einen Themenschwerpunkt der Buchmesse. Dennoch gab es auch 2022 Podien mit „Promis“ zu vielen anderen Themen, etwa zum Kampf gegen den Klimawandel oder gegen Corona. Menschentrauben bildeten sich bei den Auftritten von Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn („Wir werden einander viel verzeihen müssen“). Oder bei Harald Welzer und Richard David Precht, den beiden Buchautoren, die mit ihrer Medienschelte für Furore sorgten.

Die Diskussion um rechte Verlage auf der Buchmesse wurde auch 2022 geführt, allerdings in geringerem Maße wie 2021. Zwei Frankfurter Stadtverordnete forderten jedoch auch diesmal den Rücktritt von Boos. Der hatte bei der Eröffnungspressekonferenz betont, dass es zwar unter den 4.000 Ausstellern auf der Buchmesse auch solche aus dem rechten Spektrum gebe. Deren Zahl liege aber im Promillebereich. Boos verwies auf die Meinungs- und Publikationsfreiheit und betonte, es gebe doch viel wichtigere Themen.

Es war immerhin die erste Buchmesse „nach der Pandemie“ – wie es Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, optimistisch formulierte. Auffallend viele jugendliche Cosplayer – also Leute, die sich etwa als Videospiel-Charakter verkleiden – bevölkerten an den Besuchstagen das Messegelände. Parallelwelten auch andernorts: Teenager standen Schlange bei Signierstunden mit Autorinnen wie Kyra Groh. Und auf dem Messe-Platz lief auf Großleinwand in nervtötender Endlosschleife ein lautstarker Trailer zum Kinostart von „Hui Buh und das Hexenschloss“. Jüngere Buchmessebesucher – und deren Eltern – suchten Lesungen mit Paul Maar oder dem Grüffelo-Illustrator Axel Scheffler auf, der geduldig Bücher im Akkord signierte und mit kleinen Zeichnungen versah.

Doch auch der Stand der Ukraine war gut besucht. Anna Zhuravlyovna vom Goethe-Institut in Kiew gehörte zu denen, die dort Besucher begrüßten. Am Stand gab es etwa Kinderbücher, die den Krieg nicht ausblenden. Gefragt, ob es surreal sei, demnächst wieder nach Kiew zurückzureisen, sagte Zhuravlyovna, sie habe sich mit der bedrückenden Wirklichkeit arrangiert und hoffe einfach auf Frieden. Am Montag reist sie mit dem Zug aus Frankfurt ab. Am Donnerstag will sie wieder in Kiew sein.

Von Norbert Demuth und Joachim Heinz (KNA)