Das Urteil gegen Kardinal Joseph Zen Ze-kiun und weitere Menschenrechtler zeigt laut Experten vor allem den verheerenden Zustand der politischen Kultur in Hongkong.
Hongkong – Das Urteil gegen Kardinal Joseph Zen Ze-kiun und weitere Menschenrechtler zeigt laut Experten vor allem den verheerenden Zustand der politischen Kultur in Hongkong. Der 90-Jährige sei nicht als katholischer Geistlicher, sondern als Demokratie-Aktivist verurteilt worden, schreibt Pater Gianni Criveller in einem Kommentar für den asiatischen Pressedienst Ucanews (Montag). „Hier geht es um die Unterdrückung der Demokratiebewegung und das Ende der politischen Freiheiten Hongkongs“, so der China-Kenner. „Das Bewusstsein für die Schwere dieser politischen und sozialen Tragödie ist nicht groß genug.“
Zen und fünf weitere Mitglieder der Demokratiebewegung waren am Freitag von einem Gericht in Hongkong wegen Nicht-Registrierung des humanitären „Fonds 612“ zu Geldstrafen von rund 480 Euro verurteilt worden. Mit dem inzwischen aufgelösten Fonds wurden inhaftierte Demonstranten der Demokratieproteste von 2019 juristisch und psychologisch unterstützt. Zens Verhaftung im Mai hatte weltweit Empörung ausgelöst.
„Der Schuldspruch des Kardinals betrifft nicht die Frage der Religionsfreiheit in Hongkong, geschweige denn die in China“, hob Criveller hervor. „Und es ist keine Botschaft Chinas an den Vatikan.“ Darüber hinaus hätten fast alle Vertreter der Demokratiebewegung, und insbesondere jener im Gefängnis, einen christlichen Hintergrund, betonte der Pater.
Viele Beobachter betrachteten das Urteil als Einschüchterungsmaßnahme und Warnung an diejenigen, „die an die Demokratie geglaubt und auf sie gehofft haben“, schreibt Criveller. „Immerhin gab es ein Schuldurteil, und zwar gegen einen populären religiösen Führer – ein beispielloser Vorgang für Hongkong.“
Andererseits könne man „an der bescheidenen Höhe der Geldstrafen“ den Willen ablesen, eine Geschichte, die sich für Polizei, Justiz und politische Behörden Hongkongs als peinlich erwiesen habe, auf unauffällige Weise zu beenden. Beide Lesarten hätten ihre Berechtigung.
Die Verordnung, auf deren Grundlage Zen und seine Gefährten verurteilt wurden, stamme aus dem Jahr 1911, erklärte der Ordensmann. Die damaligen britischen Kolonialbehörden hätten sie eingeführt, um Geheimbünden wie etwa der kriminellen Vereinigung der „Triaden“ oder Freimaurer-Bünden entgegenzuwirken. „Der Rückgriff auf ein veraltetes Gesetz, das der emanzipierten und postkolonialen sozialen und politischen Realität des heutigen Hongkong fremd ist, zeigt den Charakter der Klage gegen den Kardinal und seine Leidensgenossen“, so der Pater.
Er äußerte die Hoffnung, dass die Ermittlungen damit beendet seien und Zen nicht wegen „Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten“ zur Rechenschaft gezogen werde. Auf diese Straftat auf Basis des 2020 eingeführten Nationalen Sicherheitsgesetzes stünden lange Haftstrafen. „Eine solche Verurteilung hätte eine enorme und beunruhigende politische Bedeutung“, mahnte er.
Pater Gianni Criveller vom Päpstlichen Institut für Auslandsmissionen ist Studiendekan und Dozent an der Internationalen Missionsschule für Theologie in Mailand. Er lehrte 27 Jahre lang in der Region China und ist Dozent am Holy Spirit Seminary College in Hongkong.