Wissenschaftler: “Reichsbürger” tragen religiöse Züge

Religionswissenschaftler Ansgar Martins sieht die “Reichsbürger” als eine “messianische Bewegung”.
Wissenschaftler: "Reichsbürger" tragen religiöse Züge

Der Berliner Reichstag scheint Ziel der in der letzten Woche festgenommenen Reichsbürger gewesen zu sein. Bild von Jörg auf Pixabay

Religionswissenschaftler Ansgar Martins sieht die “Reichsbürger” als eine “messianische Bewegung”. In ihr verbänden sich zwei Dinge: “Die Erwartung eines New Age, eines spirituellen neuen Zeitalters, und der Kampf gegen die angebliche Verschwörung, die die neue Zeit verhindern will”, sagte Martins der “Welt” (Montag). In der englischsprachigen Forschung gebe es dafür seit den 2010er-Jahren den Begriff der “Conspirituality”, eine Zusammensetzung aus Konspiration und Spiritualität, erläuterte Martins. “Solche ‘Konspiritualität’ gibt es in esoterischen Kreisen seit dem 19. Jahrhundert, immer verstärkt in Krisen- und Kriegszeiten.”

Er sehe bei den “Reichsbürgern” ein “Grundmotiv religiöser Apokalyptik, wonach die Katastrophe bevorsteht und zugleich eins mit der Rettung ist” so Martins weiter. Über dieses Schema legten sich neue Aspekte wie die QAnon-Verschwörungstheorie. “Die Gruppe, die letzte Woche verhaftet wurde, ging laut Generalbundesanwalt von einem bösen ‘Deep State’ aus, der die Bundesrepublik kontrolliert, und von einem guten, technisch hoch entwickelten Geheimbund, die ‘Allianz’, der die Republik bekämpft und schon im Land ist. Man musste sich ‘nur noch’ bewaffnen, um diesen epischen Moment der Befreiung herbeizuführen”, so Martins. “Da vermischen sich alte Muster mit neuem Irrsinn.”

Die Ursprünge des “Reichsbürger“-Weltbildes ließen sich auf den Berliner Wolfgang Ebel zurückführen, der Mitte der 80er-Jahre die vermutlich erste “Kommissarische Reichsregierung” ausgerufen habe, weil die Bundesrepublik angeblich nicht existiere, sagte Martins. Neu seien derartige Fake-Regierungen und Fantasie-Staaten. Die Begründung allerdings sei älter und trage antisemitische Muster. “Schon nach dem Ersten Weltkrieg hielten viele die Weimarer Republik für ein jüdisches oder westliches Verschwörungskonstrukt, des ‘Deutschen Reichs’ nicht würdig. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten Rechtsradikale und Nazi-Nostalgiker natürlich nicht an die Legitimität des neuen Staats.”

Martins: “Die Art und Weise, wie da der Staat gedacht wird, ist antisemitisch, auch wenn von Juden nicht immer explizit die Rede ist. Es geht darum, dass angeblich eine kleine, böse, verschworene Gruppe im Hintergrund die Fäden zieht.”

kna