Ouellet geht aufs Ganze: Er hat viel zu verlieren

Der kanadische Kardinal Ouellet ist im Vatikan ein Schwergewicht. Und der erste, der nach Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens gegen eine mutmaßlich Betroffene zur Gegenklage ausholt.
Der kanadische Kardinal Ouellet ist im Vatikan ein Schwergewicht. Und der erste, der nach Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens gegen eine mutmaßlich Betroffene zur Gegenklage ausholt.

Kardinal Marc Ouellet –Foto: Giansa25/CC BY-SA 3.0

Kardinal Marc Ouellet (78) ist eine Größe im Vatikan. Der aus Kanada stammende Leiter der Bischofsbehörde gilt seit Jahren als potenzieller Papstkandidat – zumindest in konservativen Kreisen. Und seine Behörde spielt in der Rangfolge der Kurienabteilungen ganz weit oben mit. Kurzum: Ouellet ist ein gewichtiger Mann der Weltkirche. Und jemand, der sich wehrt – massiv und juristisch. Seit diesem Sommer muss sich der Kanadier mit Vorwürfen sexuellen Fehlverhaltens in seiner Heimat auseinandersetzen.

Im Zuge einer zivilen Sammelklage gegen 88 Geistliche von mehr als 100 Klägern wirft eine ehemalige Pastoralreferentin, „Frau F“, dem damaligen Erzbischof von Quebec vor, sie zwischen 2008 und 2010 bei vier Gelegenheiten unangemessen berührt zu haben. Dies hält die Sammelklage fest, das hat „F“ dem Papst geschrieben und Medien erzählt. Diese Vorwürfe will Ouellet nicht auf sich sitzen lassen und geht in die Offensive. Er klagt vor einem Gericht in Quebec gegen seine Beschuldigerin auf Verleumdung und fordert 100.000 Dollar Schadenersatz. Die Vorwürfe und deren Kontext hätten ihn persönlich und beruflich schwer getroffen. Sie hinterließen einen „unauslöschlichen Abdruck auf seiner Ehre, seinem Ruf und seiner Würde“. Mögliches Schmerzensgeld will er für Opfer sexuellen Missbrauchs unter der indigenen Bevölkerung Kanadas spenden.

Kardinal der katholischen Kirche geht einen ungewöhnlichen Schritt

Damit geht der 78-Jährige als erster Kardinal der katholischen Kirche einen ungewöhnlichen Schritt. Bislang hat kein hochrangiger Kirchenvertreter sein mutmaßliches Opfer verklagt. Und das, obwohl schon etliche Kardinäle beschuldigt wurden. Einer der ersten, dem sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wurde, war der US-amerikanische Kardinal Joseph Bernardin (1928-1996). Doch gegen ihn kam es nie zur Klage. Der Kläger zog seine Aussage zurück.

Der weltweit prominenteste Fall ist der australische Kardinal George Pell. Ihm wurde Missbrauch Minderjähriger vorgeworfen. Es folgten mehrere Prozesse in Pells Heimat, eine Verurteilung, eine mehr als 400 Tage abgesessene Freiheitsstrafe und dann in letzter Instanz der Freispruch. Pells Ansehen litt massiv unter den Gerichtsprozessen. Zum juristischen Gegenschlag gegen seinen Beschuldiger hat Pell nicht ausgeholt, er hat sich als Angeklagter im Strafprozess verteidigt – und Recht bekommen.

Schadenersatzklage ist ein Novum und Wagnis

Klagefreudig zeigte sich hingegen – in einer völlig anderen Materie – der sardische Kardinal Angelo Becciu. Dieser muss sich derzeit in einem großen Finanzprozess vor dem Vatikangericht verantworten. Becciu hat gegen Medien wegen angeblicher Rufschädigung geklagt – und ist gescheitert. Insofern ist die Schadenersatzklage von Quellet ein Novum. Und ein Wagnis. Hätte die Klage, an der „Frau F“ beteiligt ist, Erfolg, stünde die Gegenklage des Kardinals in einem schlechten Licht. Zumal es bei der Sammelklage in den meisten Fällen um den Vorwurf sexuellen Kindesmissbrauchs von Priestern und anderen Kirchenmitarbeitern in den 1950er und 1960er-Jahren geht.

Auch aus diesem Grund wehrt sich Ouellet so schnell, so massiv. Gleich nach Bekanntwerden der Sammelklage hatte er alle Anschuldigungen gegen seine Person öffentlich als verleumderisch zurückgewiesen. Er möchte nicht mit mutmaßlichen Missbrauchstätern, insbesondere im Kontext Pädophilie, auf eine Stufe gestellt werden. Solche Vorwürfe seien „der schlimmste mögliche Fleck“ in der Personalakte, insbesondere angesichts der Skandale innerhalb der katholischen Kirche, heißt es in der Klageschrift.

Der 78-Jährige streitet alle Vorwürfe ab. Er könne sich nicht erinnern, die Frau je getroffen zu haben. Er kenne sie nicht. Und selbst wenn die abgestrittenen Taten als wahr angenommen würden, wären sie kein „sexueller Übergriff“ gewesen, schreiben seine Anwälte, die auch auf Widersprüche in den Aussagen der Klägerin hinweisen. So heißt es, bei pastoralen Treffen seien üblicherweise bis zu 100 Personen anwesend gewesen. Dass der Erzbischof dabei die Anwesenden einzeln persönlich begrüßt habe, sei Teil seiner Aufgabe und Funktion gewesen. Oft habe Ouellet an solchen Treffen gar nicht teilgenommen. Für die Pastoralreferenten war er nicht zuständig.

Guter Bekannter von Ouellet mit Untersuchung befasst

Der Vatikan selbst war bereits nach einer Vorprüfung zu dem Schluss gekommen, „dass es keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Eröffnung einer kanonischen Untersuchung wegen sexueller Nötigung von Kardinal Ouellet gegen Person F.“ gebe. Dies teilte der Vatikan zeitnah nach Bekanntwerden der Sammelklage mit. Ouellet beruft sich darauf.

Die vatikanische Reaktion kam überraschend schnell. In der Regel wartet der Papst – wie etwa im Fall Pell – den Abschluss des zivil- oder strafrechtlichen Verfahrens ab, bevor er selbst Untersuchungen einleitet. Ebenfalls kritisch beäugt wurde, wer die Voruntersuchung geleitet hatte. Jesuitenpater Jacques Servais, Leiter des internationalen Studienhauses Casa Balthasar in Rom, ist ein guter Bekannter von Ouellet und war bis zu besagtem Auftrag nie mit Missbrauchsfragen befasst. Ouellet geht dennoch aufs Ganze. Er hat viel zu verlieren. Und möchte in aller Deutlichkeit alle Vorwürfe aus der Welt schaffen.

Von Anna Mertens (KNA)