Das Erzbistum München und Freising will enger mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs zusammenarbeiten.
München – Das Erzbistum München und Freising will enger mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs zusammenarbeiten. Deren Bedürfnisse und Belange seien entscheidend für Aufarbeitung und Prävention, betonte Kardinal Reinhard Marx am Dienstag vor Journalisten in München. Dass die Perspektive der Betroffenen in der Vergangenheit zu wenig berücksichtigt worden sei, „war unser größtes Defizit“, sagte Marx. „Das müssen wir als Kirche, das muss ich als Erzbischof selbstkritisch einräumen.“
Er selbst habe 2022 seine Gespräche mit Betroffenen intensiviert, sagte Marx. „Das ist nicht perfekt, da sind immer noch mehr Dinge möglich, aber ich bin auf dem Weg.“ Marx äußerte sich anlässlich des vor einem Jahr veröffentlichten Missbrauchsgutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW). Der Kardinal und weitere Mitglieder der Bistumsleitung nutzten den Jahrestag für eine Standortbestimmung und kündigten zusätzliche Maßnahmen an.
So soll die im vergangenen Sommer auf Anregung des Betroffenenbeirats eingerichtete Stabsstelle „Seelsorge und Beratung für Betroffene von Missbrauch und Gewalt“ personell ausgebaut werden. Sie wird geleitet von Pfarrer Kilian Semel, der selbst als Kind von einem Geistlichen missbraucht wurde, und ist mit zwei Psychologinnen mit Therapieerfahrung besetzt. Eine weitere Fachkraft soll in Kürze dazukommen. An Präventionsschulungen im Erzbistum wirkt inzwischen ein Betroffener mit.
Semel berichtete von bisher 100 Personen, die angerufen hätten. Stark vertreten sei die Altersgruppe zwischen 60 und 80 Jahren, nur 27 Berichte hätten sich auf das Erzbistum bezogen. Viele hätten zum ersten Mal ins Wort gebracht, was ihnen vor Jahrzehnten geschehen sei. Bei den Gesprächen sei es nicht nur um mögliche Hilfen gegangen, sondern auch um religiöse Fragen, etwa die, wo Gott zum Zeitpunkt des Missbrauchs gewesen sei. Semel ist auch Mitglied des Betroffenenbeirats.
Eine bereits zu Jahresbeginn in Betrieb genommene neue Anlauf- und Beratungsstelle hat bis Ende 2022 insgesamt 316 Anrufe erhalten. Gemeldet hätten sich auch Betroffene aus anderen Diözesen und Angehörige, hieß es.
Die Zahl der unabhängigen Ansprechpersonen für die Prüfung von Verdachtsfällen wurde von zwei auf drei aufgestockt. Bei ihnen sind bis Jahresende 57 Meldungen eingegangen, ein Teil habe sich auf bereits bekannte Missbrauchsfälle oder auf anderweitige Grenzverletzungen bezogen.
Das Erzbistum nannte auch Zahlen zu Anerkennungsleistungen: Nach dem alten Verfahren (vor 2021) wurde 53 Mal Betroffenen Geld überwiesen, in der Regel sei es der damalige Höchstbetrag von 5.000 Euro gewesen. Nach dem neuen Verfahren seien bis Ende vergangenen Jahres 54 Anträge gestellt und davon 48 durch die auf Bundesebene tätige Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) entschieden worden. In einem Fall habe es sich um eine Summe von 50.000 Euro gehandelt. Außerdem würden Therapie- und Anwaltskosten übernommen.