Das Bistum Essen präsentiert nach der Vorstellung der sozialwissenschaftlichen Aufarbeitungsstudie zu sexualisierter Gewalt nun die zentralen Ergebnisse Interessierten in den Städten und Kreisen des Bistums.
Das Bistum Essen präsentiert nach der Vorstellung der sozialwissenschaftlichen Aufarbeitungsstudie zu sexualisierter Gewalt nun die zentralen Ergebnisse Interessierten in den Städten und Kreisen des Bistums. Dies teilte die Diözese am Dienstag mit. Im März und April werden demnach in zehn Städten des Ruhrgebiets, des märkischen Sauerlandes und des Ennepe-Ruhr-Kreises Mitglieder der Bistumsleitung Stellung zu der Studie und den Empfehlungen beziehen und mit den Gästen ins Gespräch kommen. Je nach Veranstaltungsort sind dies Generalvikar Klaus Pfeffer, Personalchefin Christiane Gerard, Judith Wolf, Leiterin des Ressorts Kulturentwicklung, oder der Leiter des Ressorts Kirchenentwicklung, Markus Potthoff. Eine Anmeldung zu den Informationsveranstaltungen, die in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenen – und Familienbildung (KEFB) organisiert werden, ist nicht nötig. Die Teilnahme ist kostenfrei.
Das Bistum Essen hatte zur weiteren Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben. Für die 2020 begonnene Untersuchung hatte ein Team des Münchener Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) erforscht, welche strukturellen und systemischen Bedingungen sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche im Bistum Essen begünstigt haben und bis heute begünstigen. Mitte Februar hat das IPP die Ergebnisse dieser unabhängigen Studie veröffentlicht. Nach den vor allem juristisch orientierten Aufarbeitungen der vergangenen Jahre ist diese sozialwissenschaftliche Studie eine weitere Konsequenz der intensiven Bemühungen um Prävention, Aufklärung und Intervention von sexualisierter Gewalt im Bistum Essen. Ziel der weiterführenden Studie war es, die Präventions- und Interventionsarbeit im Bistum Essen weiter zu verbessern und Missbrauch in Zukunft zu verhindern.
Das Bistum Essen verzeichnet wesentlich mehr Betroffene sexualisierter Gewalt und Täter als bisher bekannt. Seit der Gründung vor 65 Jahren gibt es mindestens 423 Fälle und Verdachtsfälle. Die Zahlen mit Stand Februar 2023 legte das Ruhrbistum bei der Vorstellung einer Aufarbeitungsstudie vor. Danach sind insgesamt 201 Personen beschuldigt, darunter 129 Geistliche und 19 Ordensfrauen. 2018 verzeichnete eine andere Studie für die Essener Diözese nur 60 beschuldigte Geistliche sowie 85 Betroffene seit der Gründung. Das IPP in München führte die sozialwissenschaftliche Untersuchung in Kooperation mit dem Berliner Institut für Bildung und Forschung (Dissens) im Auftrag des Bistums durch. Die Forschenden werteten in den vergangenen drei Jahren Personal- und Geheimakten des 1958 gegründeten Bistums Essen aus. Zudem führten sie Interviews etwa mit Betroffenen und veranstalteten Gruppendiskussionen in Gemeinden.
Helga Dill (IPP) und Malte Täubrich (Dissens) führten aus, dass das Ruhrbistum bis ins Jahr 2010 unzureichend oder gar nicht auf Verdachtsfälle reagiert habe. Wegen dieser mangelnden Verantwortungsübernahme und der Versetzung von Tätern sei die sexualisierte Gewalt nicht gestoppt worden und die Zahl der Betroffenen gestiegen. Es seien keine Bemühungen des Bistums festzustellen, Betroffene zu unterstützen oder ausfindig zu machen. Auch die betroffenen Kirchengemeinden hätten die Fälle oft verdrängt und sich mit den Tätern solidarisiert, so Dill. Es sei „etwas Spezifisches“ der katholischen Kirche, dass der Pfarrer als geweihter Mann idealisiert werde: „Dieses Moment untergräbt letztlich auch die kritische Urteilsbildung der Gemeindemitglieder.“ Betroffene seien sozial ausgegrenzt und ihr Leid auch seitens der Gemeinde geleugnet worden. Täubrich sprach zudem von einem „Informationsvakuum“ – Bistumsverantwortliche hätten die Gemeinden oft im Unwissen gehalten.
Ab 2010 sei dann ein hartes Durchgreifen gegenüber den mittlerweile betagten Tätern zu erkennen, worin die Forschenden den Ausdruck eines institutionellen Schuldgefühls sehen. Ein Konzept für den Umgang mit straffälligen Klerikern fehle aber. 2010 wurde der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche durch die aufgedeckten Vorfälle am Canisius-Kolleg in Berlin wesentlich bekannt gemacht. Ende 2009 trat der aktuelle Bischof Franz-Josef Overbeck sein Amt in Essen an. Overbeck zeigte sich in einer ersten Reaktion selbstkritisch mit Blick auf die Institution Kiche: Es sei viel vertuscht und kleingeredet worden. Die Bischöfe hätten nicht nur Betroffene vernachlässigt, sondern auch Kirchengemeinden alleine gelassen. Missbrauch sei nicht nur Schuld der einzelnen Täter, sondern auch ein systemisches Problem der Kirche. Nun gelte es, „sich ehrlich zu machen“ und die Aufarbeitung professioneller aufzustellen.
Generalvikar Klaus Pfeffer forderte, die Glorifizierung des Ruhrbistums zu beenden, das immer wegen seiner angeblichen Bodenständigkeit idealisiert worden sei. Gerade die Zeit unter dem ersten Bischof, Kardinal Franz Hengsbach, weise die meisten Meldungen an Missbrauchsfällen auf. Hengsbach stand der Diözese von 1958 bis 1991 vor.
Termine im ganzen Bistum:
· Bottrop: 21. März, 19 Uhr, Kirche Heilig Kreuz, mit Generalvikar Klaus Pfeffer
· Duisburg: 22. März, 19 Uhr, Katholisches Stadthaus, mit Generalvikar Klaus Pfeffer
· Oberhausen: 22. März, 19 Uhr, Katholisches Stadthaus, mit Dr. Judith Wolf, Ressortleitung Kulturentwicklung
· Essen: 23. März, 19 Uhr, VHS Essen, mit Generalvikar Klaus Pfeffer
· Hattingen/Schwelm: 23. März, 19 Uhr, Pfarrsaal St. Marien in Schwelm, mit Markus Potthoff, Ressortleitung Kirchenentwicklung
· Altena/Lüdenscheid: 26. März, 17 Uhr, Pfarrsaal St. Medardus und Joseph in Lüdenscheid, mit Generalvikar Klaus Pfeffer
· Gelsenkirchen: 28. März, 19 Uhr, Pfarrheim St. Augustinus, mit Christiane Gerard, Ressortleitung Personal
· Mülheim an der Ruhr: 31. März, 19 Uhr, Kirche St. Mariäe Geburt, mit Dr. Judith Wolf, Ressortleitung Kulturentwicklung
· Gladbeck: 3. April, 19 Uhr, Sozialpastorales Zentrum K4, mit Markus Potthoff, Ressortleitung Kirchenentwicklung
· Bochum: 20. April, 19 Uhr, KEFB Am Bergbaumuseum, mit Christiane Gerard, Ressortleitung Personal