Der emeritierte und inzwischen verstorbene Papst Benedikt XVI. ist von der Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen Beschuldigter geführt worden.
München – Der emeritierte und inzwischen verstorbene Papst Benedikt XVI. ist von der Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen zum Münchner Missbrauchsgutachten als Beschuldigter geführt worden. „Geprüft wurde dabei insbesondere, ob ein kirchlicher Verantwortungsträger durch eine Personalentscheidung Beihilfe zu einer später begangenen, noch nicht verjährten Missbrauchstat eines Priesters geleistet haben könnte“, teilte die Staatsanwaltschaft München I am Dienstag mit. Es sei aber „entweder keine beihilfefähige Haupttat nachweisbar“ oder eine solche wäre wegen Verjährung nicht mehr verfolgbar gewesen, hieß es zu Benedikt weiter.
„Daher erfolgten in diesen Verfahren keine Vernehmungen der beschuldigten Verantwortungsträger und damit auch keine Mitteilungen der Verfahrenseinleitung und -einstellung“, so die Staatsanwaltschaft.
Zwei weitere Verantwortliche als Beschuldigte eingetragen
Neben dem früheren Papst wurden laut Mitteilung zwei weitere lebende kirchliche Personalverantwortliche als Beschuldigte eingetragen: der frühere Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter und der ehemalige Münchner Generalvikar, also Bischofsstellvertreter, Gerhard Gruber. „Die Ermittlungen ergaben jeweils keinen hinreichenden Verdacht strafbaren Handelns der Personalverantwortlichen“, weswegen die Verfahren eingestellt worden seien.
Hinsichtlich Wetter und Gruber stand den Angaben zufolge der „Fall 26“ aus dem Missbrauchsgutachten und damit ein 1962 verurteilter Kleriker im Fokus. Dazu hätten die Ermittlungen den Verdacht zweier noch nicht verjährter Haupttaten ergeben. Bei Wetter sei jedoch nicht feststellbar gewesen, dass er um Missbrauchsvorwürfe gewusst und den betreffenden Priester im Dienst gelassen habe, und bei Gruber nicht, dass er zum Missbrauch vorsätzlich beigetragen habe.
Im Zusammenhang mit dem „Fall 26“ habe man im Februar das erzbischöfliche Ordinariat und Palais in München durchsucht, bestätigte die Staatsanwaltschaft nun entsprechende Medienberichte. Aufgrund von Zeugenaussagen habe man nach einem „Giftschrank“ mit brisanten Unterlagen gesucht. „Die Durchsuchung ergab, dass der sog. Giftschrank bereits 2011 aufgelöst wurde und die darin befindlichen Unterlagen zu den Personalakten gegeben wurden.“
Ermittlungen auf Grundlage des Missbrauchsgutachtens
Zur Stunde informiert die Behörde bei einer Pressekonferenz über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen gegen kirchliche Verantwortungsträger auf Grundlage des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising. Dieses hatte die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im Januar 2022 vorgestellt. Die Staatsanwaltschaft hat auf dieser Basis 45 Fälle untersucht, wie sie erklärte.
Das WSW-Gutachten verzeichnet 235 mutmaßliche Täter von 1945 bis 2019, darunter 173 Priester. Die Zahl der Geschädigten liege bei 497. Das Dunkelfeld sei aber vermutlich weitaus größer. 67 Kleriker hätten aus Sicht der Anwälte wegen der „hohen Verdachtsdichte“ eine kirchenrechtliche Sanktion verdient. In 43 Fällen sei jedoch eine solche unterblieben. 40 von ihnen seien weiter in der Seelsorge eingesetzt worden, darunter auch 18 strafrechtlich verurteilte Priester.
Das Gutachten belastet amtierende und frühere Amtsträger schwer, darunter Benedikt XVI. Joseph Ratzinger habe sich als Münchner Erzbischof (1977-1982) in vier Fällen fehlerhaft verhalten. Dem derzeitigen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, warfen die Anwälte vor, sich bis 2018 nicht ausreichend um Fälle sexuellen Missbrauchs gekümmert zu haben. Konkret hielten die Gutachter dem Erzbischof zudem vor, zwei Fälle nicht nach Rom gemeldet zu haben. Marx‘ Vorgänger, Kardinal Wetter, hat laut WSW in seiner mehr als 25-jährigen Amtszeit in 21 Fällen Fehlverhalten gezeigt.