Seine Gedanken galten als zu modern – und so wurde der französische Theologe Henri de Lubac erst im Rentenalter von der Kirche rehabilitiert. Posthum könnten ihm gar noch höhere Kirchenehren zuteil werden.
Paris – Wer seiner Zeit voraus ist, hat es mitunter schwer. Er muss sich darauf gefasst machen, ein Leben lang auf Widerstand zu stoßen – und womöglich erst nach dem Tod angemessen gewürdigt zu werden. Die Kirche macht da keine Ausnahme. Ein Beispiel ist der Werdegang des französischen Theologen Henri de Lubac – für den Frankreichs Bischöfe nun den Seligsprechungsprozess eröffnen wollen, wie sie am Freitag in Lourdes mitteilten.
Am 20. Februar 1896 in Cambrai geboren, trat de Lubac 1913 nach kurzem Jura-Studium in den Jesuitenorden ein. 1914 musste er am Ersten Weltkrieg teilnehmen. Dabei zog er sich schwere Verwundungen zu, die ihn sein Leben lang erheblich belasteten und seine enorme Produktivität im Rückblick noch erstaunlicher erscheinen lassen. Nach umfassendem Studium der Philosophie und Theologie und Promotion in Rom lehrte er seit 1929 als Theologe an der Universität Lyon.
Während der deutschen Besatzung engagierte sich de Lubac stark im christlichen Widerstand. In dieser Zeit übte er heftige Kritik am Verhalten der französischen Bischöfe: Sie hätten es vorgezogen, mit dem „Herrscher der Stunde“ in bester Übereinstimmung zu sein, um Freimaurer oder antiklerikale Lehrer „ausschalten zu können“. An einigen Bischöfen klebe sogar das Blut ihrer Priester.
Nicht nur seine politischen, auch seine theologischen Positionen waren mittlerweile in Misskredit geraten. Nachdem er durch sein Buch „Katholizismus als Gemeinschaft“ 1938 schlagartig berühmt geworden war, brachte ihn vor allem seine Schrift „Die Freiheit der Gnade“ von 1946 in den Verdacht zu großer Modernität.
Als Papst Pius XII. 1950 in der Enzyklika „Humani generis“ „einige falsche Ansichten“ verurteilte, „die die Grundlagen der katholischen Kirche zu untergraben drohten“, wurde dies von Beobachtern auf de Lubac bezogen – obwohl praktisch keiner der in der Enzyklika enthaltenen Vorwürfe auf dessen Werk zutraf.
Im selben Jahr entzog ihm die römische Ordensleitung auf päpstlichen Druck die Arbeitserlaubnis – ohne dass ihm jemand mitteilte, wessen er angeklagt wurde. Erst 1953 durfte er wieder an seinen Lehrstuhl in Lyon zurückkehren. Seine offizielle Rehabilitation erfolgte erst 1960, als ihn Pius‘ Nachfolger Johannes XXIII. zum Berater der Vorbereitungskommission des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ernannte. Einige Dokumente lassen seinen Einfluss deutlich erkennen.
Nach dem Konzil arbeitete de Lubac als Berater der päpstlichen Sekretariate für die nichtchristlichen Religionen und die Nichtgläubigen und war lange Jahre Mitglied der internationalen Theologenkommission in Rom. In den 70er und 80er Jahren bestätigte er seine mittlerweile unumstrittene geistige Autorität durch eine Reihe von Buchveröffentlichungen und avancierte zu einem der „großen alten Männer“ der katholischen Theologie. Johannes Paul II., mit dem de Lubac seit der Konzilszeit befreundet war und der eines seiner Werke ins Polnische übersetzt hatte, ernannte den Betagten schließlich 1983 zum Kardinal.
Henri de Lubac verfasste mehr als 40 Bücher, die in mindestens 16 Sprachen übersetzt wurden. Die Modernität seiner Schriften, die ihm zeitweise vorgeworfen wurde, hat er selbst immer bestritten. Ihm ging es nicht um die Etablierung neuer Erkenntnisse. Sein zentrales Anliegen war vielmehr, zu den zeitlos gültigen Wahrheiten des Christentums vorzudringen. De Lubac legte größten Wert auf Quellenbezüge. Er misstraute allem Essayistisch-Spekulativen und pflegte all seine Äußerungen akribisch zu belegen.
Der Jesuit wandte sich auch gegen die christliche Tendenz, zentrale Glaubensinhalte nur aus der Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen zu entwickeln. Ein innerlich gefestigter Glaube, so de Lubac, drängt auf Weitergabe und kennt dabei keine Berührungsängste mit anderen Religionen und Atheisten – zumal die Grenzen nach seinem Verständnis keinesfalls immer klar verlaufen.
De Lubac hat an der Erneuerung der Theologie im Umfeld des Konzils entscheidenden Anteil. Dem dort formulierten Anspruch, Antworten auf die Situation des Christen in der Welt von heute zu geben und die Legitimität und Notwendigkeit christlichen Glaubens in der Gegenwart aufzuzeigen, ist er hervorragend gerecht geworden. Am 4. September 1991 starb er 95-jährig in Paris.